Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.
hergerissen.
Auch Mathias interessierte der Streit. Schließlich setzte er genauso Stein auf Stein, indem er am Imperium der Overstolzen baute. Nicht von ungefähr nannte man die Kaufleute in spöttischer Besorgnis Zeitverkäufer. Von Stillstand keine Spur.
Sie hatten sich des öfteren über die Frage auseinandergesetzt, ob die Vollendung eines Werkes wirklich dessen Krönung sei; ob der Gedanke und das Vorhaben, einen neuen Dom zu bauen, unbedingt erfordere, ihn auch fertigzustellen, und ob es wichtig sei, die Fertigstellung eigener Ideen selber zu erleben. Hier allerdings wichen ihre Vorstellungen voneinander ab. Während Mathias’ Nüchternheit, wie er selber wußte, auf einen Mangel an Phantasie zurückzuführen war und sich stattdessen in kaufmännischer Zielstrebigkeit und schnellen Gewinnen niederschlug, war das Nüchterne für Gerhard nur die beste aller Methoden, dem offensichtlich Undurchführbaren ein Fundament der Wahrscheinlichkeit zu schaffen. Letzten Endes war Gerhard ein glühender Visionär gewesen, beseelt von dem Gedanken, etwas vollkommen Neuartiges zu schaffen, einen revolutionären Stil in die Baukunst einzuführen, um der massiven und erdverhafteten, von Stein und Schatten dominierten Architektur seiner Ära pures Licht entgegenzusetzen, aufstrebend, schlank und erhaben und vor allem ohne Größenbeschränkung. Der Vorgriff auf das himmlische Jerusalem, wo Gott mit seinen Engeln thronte, sollte nichts Burgenhaftes mehr haben. In Burgen hauste nur der Teufel.
Das war in der Tat etwas Neues. Für den Geschmack einiger Zeitgenossen allerdings, auch wenn sie ihn fast ausnahmslos verehrten und bewunderten, gefiel sich Gerhard allzu offensichtlich in der Schöpferrolle. Es war im Grunde nicht verwunderlich, daß ihm das einfache Volk mit der Zeit magische Kräfte zuschrieb und munkelte, er habe bei Nacht und Nebel den Gehörnten bemüht. Gerade aus dem Lager der Bettelorden gab es viele, die ihn gerne der Ketzerei angeklagt gesehen hätten, Seite an Seite brennend mit Konrad von Hochstaden und Albert dem Großen. Hatte nicht Joachim von Fiore, den die Franziskaner so sehr schätzten, für 1260 den Anbruch eines neuen Zeitalters angekündigt, einer wahrhaft armen Kirche? Sollte diese monströse Anmaßung menschlicher Eitelkeit, die dort entstand, der Ausdruck jener Armut sein? An Joachims Prophezeiung gab es für viele nichts zu rütteln, also konnte der neue Dom, dieses ehrgeizigste aller Unterfangen, nur der Einflußnahme des Teufels zuzuschreiben sein.
Aber neben Gerhard hätten dann auch Papst und Kaiser brennen müssen, die den Dombau befürworteten. Deren Entscheidung öffentlich in Zweifel zu ziehen war jedoch unklug, wollte man nicht unversehens enthauptet, ertränkt, in Öl gesotten oder gevierteilt werden. Der Pontifex hatte den Dom als heiliges Werk bezeichnet, und heilige Werke ließ man besser unangetastet. Also begnügten sich die Kritiker des Dombaus zu Köln damit, ganz allgemein von den Lasterhöhlen der Eitelkeit zu predigen, womit sie nichts Neues erzählten, aber auch nichts riskierten, und Gerhards angeblicher Pakt wurde bald nur noch mit folkloristischer Gutmütigkeit zitiert.
Das wahre Genie des Dombaumeisters hatte allerdings weniger darin bestanden, sich ein Bauwerk wie den neuen Dom, die perfekte Kirche schlechthin, auszudenken, als sie tatsächlich entstehen zu lassen. Die Pläne waren nicht das Resultat schwärmerischen Überschwangs, sondern logischer Vernunft. Gerhard empfand sich als Wissenschaftler in Verfolgung absolut unwissenschaftlicher Ziele. Er steckte den Raum zur freiesten aller spirituellen Entfaltungen mit Maßband und Zirkel ab, unterwarf die göttliche Inspiration im Bestreben, ihr zu universalem Recht zu verhelfen, dem kalten Lot, ließ den Rausch des unendlich Aufwärtsstrebenden in einer meßbaren Höhe gipfeln. Mit jeder Spanne, die der Dom wuchs, wurde ihm nur um so schmerzlicher bewußt, wie klein der Mensch im Angesicht Gottes war, und wie erbärmlich sein Versuch, über sich hinauszuwachsen.
Der offensichtliche Widerspruch in seiner Arbeit hatte Gerhard an sich zweifeln lassen. Es mochte ihm gelingen, die unmögliche Kirche zu vollenden, nicht aber, ihr einen Sinn zu geben. Das Werk widerlegte sich im Augenblick seines Entstehens. Es funktionierte nur im Kopf, und keines der Ziele, um derentwillen sie überhaupt erst mit dem Bau begonnen hatten, würden sie erreichen.
Erzbischof Konrad hatte nicht den Grundstein zum neuen Dom gelegt, sondern
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