Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
Weihnachten stand
vor der Tür.
Von innen ähnelte die Parteizentrale mit ihrer klinisch sauberen,
aber gesichtslosen Einrichtung dem Servicebereich einer Autovertragswerkstatt,
aber wenn man genau hinsah, fielen einem Dinge auf, die daran erinnerten, dass
die Immobilie noch bis vor wenigen Jahren die Ortsvertretung der DKP beherbergt hatte: Da war der leicht muffige Geruch,
der immer noch an einen Wasserschaden erinnerte, den man nicht in den Griff
bekommen hatte, und der Rest eines Anti-Atomkraft-Aufklebers auf dem
Schaufenster, der trotzig dem neuen Parteislogan »Mobilität ist Energie plus
Fortschritt« Paroli bot.
»Ich habe einen Termin mit Ihrem Oberboss«, beantwortete ich den
fragenden Blick der jungen Frau am Empfangstresen.
»Ihr Name?«
»Ole Frings. Brauchen Sie Kfz-Schein und Fahrerlaubnis?«
Sie konnte darüber nicht lachen und griff zum Telefon, um meine
Ankunft zu melden. Ich dachte mir längst, dass die kleine Partei trotz ihrer
Fernsehpräsenz mitgliedermäßig kaum besser stand als die nach der Wende so arg
gebeutelte DKP , davon konnte auch das Vorzimmer
nicht ablenken. Vor einer halben Stunde hatte ich mich am Telefon für einen
Journalisten der Süddeutschen ausgegeben. Dass ich an einer Serie über
politische Ausnahmetalente arbeite. Dass wir schon etwas gebracht hätten über
Nicolas Sarkozy, Rainer Brüderle und Susann Bolzenius. Und gerne auch Thilo
Strumpf dabeihätten, natürlich nur, falls er Zeit für ein Interview habe. Kein
Problem. Natürlich hatte er Zeit und nicht erst morgen. Noch heute und jetzt
gleich.
Eine Tür öffnete sich, und der Parteichef kam mit zur Begrüßung
ausgestreckter Hand auf mich zu. »Herr, eh …«
»Frings. Ole Frings.«
»Ich grüße Sie. Folgen Sie mir doch nach nebenan, Herr Frings, da
haben wir es etwas gemütlicher. Frau, eh …«
»Knesebeck.«
»Ja. Bringen Sie uns doch etwas.« Strumpf berührte meinen Arm. »Tee,
Kaffee, Orangensaft?«
Ich bestellte einen Tee und folgte ihm nach nebenan in ein
Arbeitszimmer mit Schreibtisch und Computer. Das Fenster sah auf einen
verschneiten Innenhof, und in der Ecke neben einem Aktenschrank türmte sich
Propagandamaterial.
»Setzen Sie sich doch.«
Im wirklichen Leben, ohne TV -Schminke,
sah Strumpf ganz schön alt aus. Er hatte grobporige Haut und Sorgenfalten, die
stellenweise so tief reichten, dass man fürchten musste, sein Gesicht könne
auseinanderfallen. Die gelbe Krawatte allerdings und sein cremefarbenes Outfit
waren original das, was ich aus dem Fernsehen kannte. Ich fragte mich, ob es
nicht Sinn machte, angesichts der Allgegenwart der Medien das geschminkte
Äußere des Politikers als das wirkliche zu definieren, da man ihn ja sowieso
meistens im Fernsehen sah.
Strumpf nahm mir gegenüber Platz. »Sie haben also tatsächlich schon
etwas über Nicolas Sarkozy gebracht?«
»War gar nicht so einfach«, nickte ich. »Der Mann redet
ununterbrochen und das auch noch auf Französisch. Will überall die erste Geige
spielen.« Ich grinste. »Dabei ist er völlig unmusikalisch.«
Das freute ihn zu hören. »Und wie war das bei Frau Bolzenius?«
»Tja, das war schon was Spezielles. Gestern erst war ich bei einer
Lesung. Tolle Sache, die Frau ist ein Multitalent. Ganz großes Kino. Wenn sie
es in der Politik nicht schaffen sollte, bleibt ihr immer noch das
Bunga-Bunga-Business, nicht wahr? – Aber nun zu Ihnen, Herr Strumpf: Man nennt
Sie den Schutzpatron der Autofahrer?«
Strumpf setzte sich gerade hin und rückte seine gelbe Krawatte
zureckt. »Nun, Autofahrer ist ein missverständlicher Begriff, wissen Sie.«
»Inwiefern?«
»Nehmen Sie diese Stadt, die man mit Recht die Radfahrerstadt nennt.
Sie werden sagen: Radfahrer – Autofahrer, ist da nicht ein Widerspruch? Aber
wenn Sie genau hinsehen, stellen Sie fest: Die meisten Radfahrer sind auch
irgendwo Autofahrer. Und genau das ist der Punkt: Jeder ist doch im Grunde
Autofahrer. Es ist nicht mal der Führerschein, der Sie dazu macht; die innere
Haltung ist entscheidend. Nach meiner Definition und der meiner Partei müsste
man jeden als Autofahrer bezeichnen. Denn es ist ja nicht nur im platten,
alltäglichen Sinne derjenige, der ein Kraftfahrzeug lenkt. Im politischen Sinne
ist es der Bürger, der automobil ist, verstehen Sie?
Ein automobiles Individuum. Genau das brauchen wir: kein mediengesteuertes
Wahlvolk, sondern mündige Bürger.«
»Also Autofahrer.«
»Ich sehe, Sie verstehen mich.«
Frau Knesebeck brachte Tee für mich, für
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