Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
Schreibtisch, ein Stuhl und
zwei Sitzkissen. An der Wand hing ein Poster, das eine Premiere ankündigte:
»Hamlet« von W. Shakespeare. Im »Großen Haus der Städtischen Bühnen
Münster«.
»Tja, das waren noch Zeiten«, schwärmte Löwenich, der sich mit einer
Teekanne abmühte. »Damals war ich eine Berühmtheit.«
»Du hast da mitgespielt?«
»Mehr als das: Ich hatte die Hauptrolle. Aber leider gab es nur zwei
Vorstellungen. Dann passierte der Unfall, und alles nahm einen unschönen
Verlauf. Na ja, so spielt das Leben.«
»Was für ein Unfall?«, fragte ich neugierig.
»Die Inszenierung war ungewöhnlich. Modern, geradezu
avantgardistisch. Und trotzdem ganz nahe an der klassischen Vorlage. Ein wahrer
Geniestreich. Du kennst doch den berühmten Monolog mit dem Totenkopf.«
»Klar«, sagte ich und erinnerte mich dunkel. »Den kennt schließlich
jeder.«
»Im Verlauf des Monologs nahm ich den Schädel und schleuderte ihn in
einer hochemotionalen Geste von mir. Je höher die Emotion, desto größer die
Kraft, die in dieser Geste lag, verstehst du? Und umso durchschlagender die
Wirkung. Es erwischte einen Bühnenarbeiter am Kopf und verletzte ihn schwer.
Der Mann lag monatelang im Koma und konnte anschließend seinen Beruf nicht mehr
ausüben. Und das war’s dann auch für mich. Ich konnte den Hamlet nicht mehr
spielen. Immer sah ich diesen armen Kerl vor mir, den ich auf dem Gewissen
hatte. Und der Totenkopf erschien mir jede Nacht.«
Ich ließ mich auf eines der Sitzkissen fallen, nahm die Tasse Tee,
die er mir angeboten hatte, und stellte sie vor mir auf den Fußboden.
»Eine Zeit lang versuchte ich es mit anderen Rollen«, erzählte er.
»Julius Caesar, Nathan der Weise und einmal auch Dracula. Irgendwann habe ich
sogar mein eigenes kleines Theater gegründet. Kommerziell gesehen leider kein
großer Erfolg, denn immer wieder erschien mir dieser Totenschädel …«
»Verstehe«, sagte ich mitfühlend. »Also hast du hingeschmissen und
deinen Frust im Alkohol ertränkt. Du gerietest mehr und mehr auf die schiefe
Bahn. Und landetest schließlich da, wo du jetzt bist. Im ›Café Augenhöhe‹.«
»So ungefähr.« Löwenich nickte. »Unsere letzte Vorstellung war ›A Christmas
Carol‹, dann musste ich den Laden dichtmachen.«
»Was hattest du gegen Noteboom?«, fragte ich unvermittelt. »Und
gegen Schubert?«
Conny Löwenich saß mir gegenüber, pustete in seinen Tee, um ihn
abzukühlen, dann schlürfte er vorsichtig. »Was ich gegen sie hatte? Schubert
war erst richtig nett zu mir. Ich war sein Fan, verstehst du? Und er meiner. Er
hatte mich als Geist der Weihnacht gesehen und war begeistert. Meinte, ich
hätte Ausstrahlung. Er wollte unbedingt, dass ich bei ihm als Weihnachtsmann
anfange. Na ja, warum nicht? Irgendwas musste ich ja machen. Weihnachtsmann war
kein Problem. Bis ich Mara kennengelernt habe.«
»Mara?«
»Sie arbeitete auch für Schubert.«
»Als Weihnachtsfrau.«
»Ein Scheißjob, kann ich dir sagen. Sie prostituierte sich für
irgendwelche stinkreichen Kerle, die sich am Weihnachtsabend auf perverse Art
vergnügen wollten.«
Jetzt kamen wir der Sache schon näher. »Und dir ging das natürlich
gegen den Strich.«
»Mara war eine tolle Frau.« Mein Gastgeber war aufgestanden und
kramte in seiner übervollen Schreibtischschublade. Schließlich hielt er mir ein
Foto hin, das Porträt einer jungen Frau mit langem, dunklem Haar. »Denkst du,
sie hätte den Job gern gemacht? Aber sie brauchte das Geld.«
»Was ist mit ihr geschehen?«
»Manche ihrer Kunden waren ganz okay, meinte sie. Andere weniger.
Und einer war ein sadistischer Scheißkerl. Sein Ding war es, Macht auszuleben
und die Frauen sexuell zu demütigen.«
»Du sprichst von Diethardt Noteboom?«, vermutete ich.
Er nickte. »Das habe ich aber erst später herausgefunden. Nachdem
sie sich das Leben genommen hatte. Noch eine Tasse Tee?«
»Gern«, sagte ich. »Wie ging es weiter?«
»Gar nicht. Ich kündigte bei Schubert. Auf der Suche nach Noteboom
lernte ich Hermine kennen. Und sie stellte mich als Aushilfe ein. Das war’s
auch schon.«
»Nein«, sagte ich. »Das war’s noch nicht.«
Schulterzucken. »Hin und wieder verschafft sie mir einen fetten
Auftrag: mal ein feuchter Keller, der ausgepumpt werden muss, mal ein Garten,
in dem für einen Pool ausgeschachtet werden soll.«
»Das meine ich nicht«, sagte ich. »Wo wir jetzt schon so weit sind,
solltest du mir auch den Rest erzählen.«
Connys Wecker, der
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