Tod vor der Morgenmesse
See hatte sich etwas besänftigt, und überrascht begriff er, daß sie sich nicht weit vom Strand einer großen Insel befanden. Sie standen im Windschatten, und die kräftigen großen Wogen rollten nicht mehr auf sie zu.
Fidelma neigte sich zu ihm und schrie ihm ins Ohr: »Das ist die Seannach-Insel!« Dabei wies sie auf die weißen Brecher.
Er mußte so in Gedanken gewesen sein, daß er nicht gemerkt hatte, wie die Zeit verflog. Auch seine Übelkeit hatte er fast vergessen.
Die beiden Krieger hatten auf Gáeths Geheiß die Ruder eingezogen und überließen es dem Schmied und seinem Gesellen, das Boot durch die mit Felsblöcken übersäte Küstenlinie zu lenken. Knapp über ihnen erhob sich eine dunkle Masse, das einzige, was von der Insel zu erkennen war. Rasch fuhr das Boot daran entlang. Eadulf vermutete, daß sie an eine Art Landzunge geraten waren, an der die Südost-Ecke der Insel auf die Ostküste stieß. Das mußte die Stelle mit dem Sandstrand sein, von dem Gáeth gesprochen hatte, auf dem sie sicher landen konnten.
Das Tosen der schweren See und das Heulen des Winds |324| ebbten ab, als sie unter Land fuhren, und Eadulf atmete erleichtert auf.
Schon umrundeten sie einen Felsvorsprung, da stieß Conrí einen gellenden Schrei aus.
Beinahe wären sie mit einem großen Schiff zusammengestoßen, das dort ankerte und sich dunkel dräuend vor ihnen erhob. An seinen Umrissen erkannte Eadulf das Kriegsschiff, das sie gejagt hatte. Bis auf eine Laterne, die am Heck schwankte, war auf Deck alles dunkel.
Gáeth und sein Gehilfe ruderten ihr Boot unter den Bug des Riesenkahns. Glücklicherweise war ihr
naomhóg
so leicht, daß es völlig lautlos in den Schatten des Kriegsschiffs glitt. Gáeth und einer der Krieger streckten die Hand aus und minderten den Anprall des Boots gegen die hölzernen Planken des mächtigen Fahrzeugs.
Eine rauhe Stimme rief vom Heck: »Hast du eben was gehört?«
Ganz aus der Nähe antwortete eine verschlafene Stimme.
»Machst du Witze? Austernfischer, Meerschwalben und Möwen, reicht dir das nicht an Krach?«
»Mir war so, als hätte ich einen Schrei gehört.«
»Du bist gut dran, daß du überhaupt noch was hörst nach all den Wochen auf dieser vogelverseuchten Insel.«
»Wir haben Befehl, zu wachen und Ausschau zu halten«, knurrte die andere Stimme.
»Ausschau nach wem? Der Alte war schließlich tot, oder nicht? Hat Olcán nicht so was gesagt?«
»Hat er. Aber ’ne Leiche hat keiner gefunden.«
»Wir haben doch gesehen, wie das
naomhóg
abtrieb und der Alte darin zusammengesunken hockte. Sogar der Pfeil, der ihm im Rücken steckte, war deutlich sichtbar. Meinst du, der ist wieder lebendig geworden und in seinem Kahn die ganze |325| Strecke bis zum Festland gerudert? Du machst mir vielleicht Spaß.«
»Na ja, und was ist aus der Frau und ihrem Begleiter geworden? Um die müssen wir uns hoffentlich keinen Kopf machen.«
»Die fangen wir morgen früh ein. Falls sie es überhaupt bis zu der anderen Insel geschafft haben. Sie haben sich das letzte Kanu der Einsiedler geschnappt, und das war schon leck. Deshalb hatte Olcán es gar nicht erst zertrümmern lassen. Kein Mensch, der bei Troste ist, würde es riskieren, damit in See zu stechen. Längst abgesoffen sind die, wenn du mich fragst. Die Mühe können wir uns sparen, nach ihnen Ausschau zu halten.«
Einen Augenblick war Stille.
»Kann ja sein, aber Olcán will so oder so, daß wir die Insel absuchen.«
»Warum glaubt Olcán, daß sie dort gelandet sein können? Es gibt doch haufenweis näher gelegene Inseln im Norden und Osten.«
Der andere Sprecher lachte heiser auf.
»Als man merkte, daß sie geflohen waren, ging das große Suchen los. Olcán hat dann gerade noch gesehen, wie ihr Kanu nach Nordwest verschwand. In der Richtung ist das aber die einzige Insel von annehmbarer Größe.«
»Im Dunkeln werden sie die Insel ohnehin verfehlt haben … falls sie nicht vorher abgesoffen sind«, ließ sich der andere vernehmen.
»Sobald es hell wird, kommt Olcán an Bord, und dann fahren wir rüber und schauen uns um. Er will bei dem Herrn und Meister nicht in Ungnade fallen.«
»Na, wer möchte das schon?« In den Worten schwang eine gewisse Angst mit.
|326| Im Dunkeln wies Gáeth auf die Landzunge, um die sie gekommen waren. Er und Gaimredán legten die Ruder ein, skullten das Boot geräuschlos um die Felsnase, fanden eine Stelle mit ruhigem Wasser und zogen die Ruder ein.
»Hast du sie gehört, Lady?« flüsterte
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