Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod vor der Morgenmesse

Tod vor der Morgenmesse

Titel: Tod vor der Morgenmesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
Dunkelheit der Dämmerung folgte, kam ihm die Orientierung abhanden. Das Auf und Ab des
naomhóg
war schwer abzuschätzen. Verzweifelt klammerte er sich an den Bootsrand, wenn das zerbrechliche Gefährt den langsamen Aufstieg auf den Wellenberg nahm, um dann so plötzlich abzustürzen, daß sein Magen in der Luft schwebte.
    |321| Vor ihm mit dem Rücken zum Bug saßen Socht und sein Gefährte; jeder hatte eine dieser seltsamen blattlosen Ruderstangen in der Hand, die üblicherweise in diesen Booten benutzt wurden. Hinter ihnen saßen Gáeth und Gaimredán, die ebensolche Ruder hatten. Die vier Männer beugten den Rücken, und mit weit ausholenden Schlägen trieben sie das Fahrzeug durch die dunklen Wasser. Fidelma und Eadulf hockten mit dem Gesicht zum Bug, genau vor den beiden Kriegern. Conrí kauerte im Heck und hatte eine fünfte Stange zur Hand, um sie notfalls als Ruderpinne zu benutzen.
    Gáeth hatte Eadulf angewiesen, die Füße nur mit äußerster Vorsicht zu bewegen, um nicht versehentlich durch die Bespannung des Kanus zu treten. Die Holzspanten, an denen die Häute und Felle angenäht waren, boten einen einigermaßen festen Untergrund für das Schuhwerk. Er hoffte, daß die vor ihm Sitzenden sein bleiches Gesicht nicht sahen, seine angstverzerrte Miene, wenn das Boot sich in den Wogen hob und senkte und wenn ab und zu die See ihr Salzwasser über ihn schüttete.
    Ihn fröstelte darüber hinaus, und er war froh, daß ihn niemand in der Dunkelheit beobachten konnte. Und wenn doch, so würden seine Gefährten hoffentlich annehmen, er zittere wegen der durchdringenden Kälte der winterlichen Nacht. Obwohl alle Pelze und Schaffellmäntel anhatten, bohrte sich der Frost mit eisigen Fingern durch die Sachen.
    Seit sie das Boot vom breiten Sandstrand der Bréanainn-Bucht ins Wasser geschoben hatten, war kein Wort mehr gefallen. Das Tosen der Wogen um sie herum übertönte jedweden Laut. Wollte man sich verständigen, mußte man sich aus Leibeskräften anbrüllen. Im Grunde genommen war Eadulf froh darüber, er mußte sich mit niemandem unterhalten und |322| somit nicht zu erkennen geben, wie sehr ihn die Angst gepackt hatte. Ihr Boot machte rasche Fahrt, mit der ablaufenden Tide wurden sie nordwärts aus der Bucht gezogen. Sie näherten sich der nach Norden weisenden Landzunge und hielten auf die Machaire-Inseln zu, obwohl sie nur ahnen konnten, wo sie lagen. Die Reisenden mußten blindlings Gáeth und seinem Gesellen vertrauen, nur sie verstanden es, in der Dunkelheit Kurs zu halten.
    Ein oder zweimal schimmerten in der Finsternis die weißen Gischtstreifen der aufs Gestade aufprallenden Brandung. Eadulf schloß daraus, daß sie Felsen oder winzige Inselgruppen passierten. Das steigerte nur seine Ängste, konnten sie doch unversehens auf massives Gestein stoßen und ins Meer geschleudert werden. In der Dunkelheit und so weit von der Küste entfernt, bedeutete das einen qualvollen Tod. Er besann sich auf die Gebete, die er gelernt hatte, und ertappte sich dabei, daß die Worte, die ihm einfielen, nicht die Gebete des Neuen Glaubens waren, sondern die aus seiner Kindheit, als seine Leute zu den alten Meeresgöttern und Seejungfern der Angelsachsen beteten.
    Er blickte auf die dunklen Gestalten der Ruderer vor ihm. Trotz der Schwankungen des Bootes schienen sie entspannt zu sein. Rhythmisch beugten sie sich vor und zurück, und das geschah in einer leichten, fließenden Bewegung, als wären sie Teil eines einzigen Körpers. Mühelos tauchten sie die Ruder immer zugleich in die See, ungeachtet aller Wellen; nicht ein Schlag wurde verpatzt. Eadulf beneidete sie, beneidete sie wegen ihres gekonnten Umgangs mit den Ruderstangen, beneidete sie um ihre scheinbare Seelenruhe.
    Er wagte einen Blick zur Seite. Fidelma saß reglos wie ein Schatten in der Dunkelheit. Woran mochte sie denken? Ob sie seine Befürchtungen teilte? Nein, nicht Fidelma. Eine wie sie |323| kannte keine Furcht, war ohne Ängste wie immer. Ruhig, entschlossen und folgerichtig denkend.
    Mit einemmal spürte er, wie ein fremdes Geräusch das Rauschen von Wellen und Wind überlagerte. Angestrengt stierte er ins Dunkel, versuchte etwas zu erkennen. Vor ihnen war ein Streifen weißer Schaumkronen auszumachen. Sie schienen geradewegs daraufzu zu rudern. Panik packte ihn, gerade wollte er einen Warnschrei ausstoßen, da brüllte Gáeth einen Befehl, und der Ruderschlag hörte auf. Das Boot schwankte auf den Wellen.
    Eadulf schaute sich um. Die aufgewühlte

Weitere Kostenlose Bücher