Tod vor der Morgenmesse
die Herdstelle in der Mitte des Raums, und Fidelma forderte Esumaro und Schwester Easdan auf, ihre Geschichte zu erzählen.
Esumaro begann als erster. Er berichtete, wie der Sturm sein Schiff in den breiten Meeresarm getrieben hatte, auf dem sie zum sicheren Ankerplatz vor der Abtei von Colman hätten gelangen können. Von einem trügerisch aufgestellten Leuchtfeuer irregeführt, hatten sie sich dem felsigen Ufer der kleinen Insel genähert, wo die Brandungswogen sein Schiff zerschmetterten. Er schilderte ausführlich, wie die Überlebenden der »Sumerli« am Strand erschlagen wurden und er sich im Gebüsch hatte verstecken können. Im Dunkeln hatte er |340| sich über eine Sandbank aufs Festland geschleppt und war dort vor Erschöpfung zusammengebrochen und eingeschlafen. Er sei erst wieder zu sich gekommen, als eine Gruppe von Ordensschwestern ihn wachrüttelte.
An der Stelle führte Schwester Easdan die Geschichte fort. Sie waren auf Pilgerfahrt zur Kapelle auf dem Bréanainn-Berg, als sie Esumaro bewußtlos auffanden. Nicht lange danach gerieten sie in die Fänge von einem Trupp Krieger, der die Äbtissin tötete.
»Wer hat die Krieger angeführt?« unterbrach Fidelma sie.
»Einen haben die Männer immer mit Olcán angeredet«, erwiderte Schwester Easdan ohne langes Überlegen.
»Drei, die das Ufer absuchten und noch lebende Männer von meinem Schiff umbrachten, haben einen der ihren auch Olcán genannt«, ergänzte Esumaro. »Die Krieger waren also mit den Strandräubern identisch, später waren sie auch unsere Aufseher. Mein Leben verdanke ich den guten Schwestern, die mich verkleideten und vorgaben, ich sei ein Ordensbruder und mit ihnen auf Pilgerreise. Ich habe mich sofort Bruder Maros genannt, konnte ja sein, sie fanden den Namen des Kapitäns heraus, dessen Schiff sie zugrunde gerichtet hatten.«
Schwester Easdan fügte in dem Bestreben, präzise zu sein, noch hinzu: »Olcán war gewiß der Anführer der Meute, doch den Oberbefehl hatte er nicht.«
»Woran willst du das erkannt haben?« fragte Fidelma.
»Es gab da noch eine schmächtige Person, und von der schien Olcán seine Anweisungen zu erhalten.«
»Vielleicht kannst du sie etwas näher beschreiben«, forderte Fidelma sie auf, ohne erkennen zu lassen, daß Ganicca ihr bereits eine brauchbare Beschreibung geliefert hatte.
»Das Gesicht bekamen wir nie zu sehen«, berichtete die junge Nonne. »Er saß hoch zu Roß und war von Kopf bis Fuß |341| in eine graue Kutte gehüllt, ähnlich wie ein Mönch, doch ein Kruzifix hatte er nicht um den Hals.«
»Ist dir sonst noch was an ihm aufgefallen?«
»Wie gesagt, er war schmächtig, hielt sich gebeugt, sprach mit hoher, irgendwie greinender Stimme.«
»Und sein Gesicht habt ihr nicht ein einziges Mal gesehen?« hakte Eadulf nach.
Esumaro schüttelte den Kopf.
»Aber ich weiß, wie er hieß.« Alle drehten sich zu ihm und warteten gebannt. »Als wir in einem Dorf in den Bergen, durch das man uns als Gefangene trieb, Halt machten, zeigte einer der Dorfbewohner – ein alter Mann – auf ihn und rief in meiner Hörweite ›Uaman‹.«
Eadulf lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf.
Conrí atmete tief durch. »Wenn Uaman der Aussätzige noch am Leben ist, macht das Sinn«, bemerkte er. »Nun wissen wir wenigstens, mit wem wir es zu tun haben.«
Fidelma erschütterte das nicht im geringsten. »Esumaro, hat jemand von dem Kriegertrupp diesen Mann jemals mit ›Uaman‹ angeredet?«
Schwester Easdan antwortete statt seiner: »Es war, wie Esumaro eben gesagt hat. Der Alte im Dorf schien ihn zu erkennen. Aber Olcán war der einzige, dem es gestattet war, ihn anzusprechen, und Olcán hat ihn einfach ›Meister‹ genannt.«
»Meister?« wiederholte Fidelma. Das war in den fünf Königreichen von Éireann eine ungewöhnliche Form der Anrede, sie besagte eher, daß jemand ein Lehrer war, ein geistlicher Ratgeber und Führer, weniger jemand von Rang.
Schwester Easdan nickte bestätigend. »In meinen Augen war er ein Unhold, denn er befahl den Kriegern, das Dorf, durch das wir zogen, zu plündern und zu brandschatzen. Sie haben auch viele Leute umgebracht.«
|342| »Weißt du, warum?«
»Einen Grund dafür habe ich nicht erkennen können«, meinte Esumaro. »Ich glaube, sie haben es aus Mutwillen und Niedertracht getan.«
»Wohin hat man euch danach verschleppt?«
»Sie scheuchten uns durch die Berge, bis wir wieder ans Meer kamen«, fuhr Esumaro fort. »Wir haben die Halbinsel überquert und
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