Tod vor der Morgenmesse
wenn ich mich nicht irre, wütete er mit Torcán, dem Sohn von Eoganán, im Südwesten.«
»Schon gut, deine Worte haben den Mann zumindest zum Sprechen gebracht.«
»Ich fürchte, er ist ein harter Brocken«, fuhr Conrí fort. »Wenn es stimmt, daß Uaman noch am Leben ist, dann muß all das, was uns hier widerfahren ist, Teil ihres Plans sein, Uaman wieder an die Spitze der Uí Fidgente zu setzen.«
»Das wird nie passieren, die Gesetzgebung ist da ganz eindeutig. Niemand mit einem körperlichen Makel kann König werden. Selbst Cormac Mac Art, einer der bedeutendsten Hochkönige, mußte abdanken, als er durch einen Speerwurf erblindete. Und auch Olcán schien nicht recht froh bei dem Gedanken, daß er Befehle von Uaman entgegennahm.«
Conrí war anderer Meinung. »Man hat uns versichert, Uaman sei nicht tot. Wer anders als Uaman könnte den Anspruch erheben, Stammesfürst unseres Volkes zu werden? Meines Wissens gibt es keinen anderen Nachfahren der Uí Choirpre Áedba.«
Eadulf sah ihn verständnislos an.
»Ich dachte immer, die Uí Fidgente sind Nachkommen des Fiachu Fidgennid? Und daß Donennach genausogut dessen Abkömmling ist wie Eoganán?«
Conrí blieb geduldig.
»Das läßt sich leicht erklären. Donennach, unser gegenwärtiger Herrscher, entstammt der Geschlechterfolge der Sippe, die wir die Uí Chonaill Gabra nennen, nämlich von Fidgennids Enkelsohn Dáire. Eoganán wiederum ist ein Nachfahr |394| von Fidgennids Enkelsohn Coirpre, folglich läuft seine Linie heute unter dem Namen Uí Choirpre Áedba.«
Die Erklärung half Eadulf keineswegs weiter. Er wußte, daß die Éireannach großen Wert auf ihre Ahnenforschung legten und die Abstammung von Vettern und entfernten Verwandten zurückverfolgten. Er hatte das Gefühl, daß sie das mit größerer Akribie betrieben als die angelsächsischen Könige, denen es genügte, wenn sie die leibliche Abkommenschaft des Sohns vom bislang regierenden Vater nachweisen konnten. Er zuckte nur mit den Schultern und drang nicht weiter in die Tiefe.
Fidelma reagierte anders. »Du hast auch niemals von einem anderen legitimen Nachfolger Eoganáns gehört, den man eventuell überredet hat, sich gegen Donennach zu erheben?«
Conrí schüttelte den Kopf.
»Uaman war mit Sicherheit der einzige männliche Nachfahre von Eoganán, der nach Cnoc Áine am Leben blieb.«
Sie waren wieder an der
tech-screptra
herausgekommen und sahen an deren Tür Bruder Eolas stehen, der im Gespräch mit Schwester Buan und Schwester Uallann vertieft war.
»Bruder Eolas!« rief Conrí, ehe ihn Fidelma daran hindern konnte. »Habt ihr eine Genealogie von den Fürsten der Uí Fidgente?«
Erstaunt drehte sich der Bibliothekar zu ihnen um.
»Ja, haben wir«, bestätigte er.
»Ist sie auf dem letzten Stand? Mich interessieren die Kinder von Eoganán.«
Bruder Eolas schüttelte den Kopf.
»Nur auf dem Stand, den die Zeit erlaubt. Mein Gehilfe und ich haben mit der Einordnung und Abschrift aller Urkunden in der Bibliothek zu tun, und dann jetzt der Brand …«
»Läßt es sich machen, daß wir gleich mal einen Blick hineinwerfen?« fiel ihm Conrí ins Wort.
|395| Ein solches Anliegen fand Bruder Eolas anmaßend und wehrte ärgerlich ab.
»Die Bibliothek ist geschlossen. Ihr werdet euch morgen herbegeben müssen.« Mit einer leichten Verbeugung verabschiedete er sich von den beiden Schwestern und verschwand.
Schwester Buan und Schwester Uallann murmelten eine Entschuldigung und machten sich ebenfalls davon.
»Ich hoffte, wir würden anhand des Stammbaums einen besseren Durchblick bekommen«, verteidigte Conrí sein Begehren. »Vielleicht gibt es doch noch eine Linie von Nachkommen, die ich vergessen habe. Ist auch egal, es ändert nichts an der Tatsache, daß der alte Ganicca Uaman zu Pferde und zusammen mit Olcán gesehen haben will.«
Eadulf schüttelte nur den Kopf und sagte: »Wir müssen Mittel und Wege finden, Olcán mehr über seinen Meister zu entlocken.«
Fidelma war wenig zuversichtlich.
»Ich glaube nicht, daß uns das gelingt.« Dann merkte sie, daß der Verwalter, der draußen gewartet hatte, um sicherzugehen, daß das Verließ ordnungsgemäß verschlossen wurde, noch immer bei ihnen herumstand. »Wir wollen dich nicht weiter aufhalten, Bruder Cú Mara«, erklärte sie und wünschte ihm eine gute Nacht.
Die drei machten sich auf den Weg zum
hospitium
. Als sie außer Hörweite des Verwalters waren, verriet sie ihnen mit gedämpfter Stimme: »Ich warte noch bis morgen.
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