Tod vor der Morgenmesse
gefallen?«
»Cináed eröffnete mir, er habe gerade ein neues Buch zu Ende gebracht – das war kurz bevor wir das Geburtsfest des Heilands gefeiert haben. In dem Buch, hat er gesagt, würde er enthüllen, wie sich Uaman seinen Reichtum und sein Heer verschaffte. Er erwähnte auch, er habe gehört, daß ein Krieger namens Olcán der von Uaman eingesetzte Befehlshaber für dieses Unterfangen wäre. Ich erschrak, und Cináed wollte wissen, warum; er ließ nicht locker. Da habe ich ihm meine Geschichte preisgegeben.«
»Und wie hat er das aufgenommen?«
»Ich habe dir nicht vorenthalten, wie Cináed und ich zueinander standen. Er riet mir, Olcán völlig zu vergessen. Und das gelang mir auch, bis …«
»Bis was?« drängte Fidelma rasch.
|402| »Das war ein paar Wochen vor Cináeds Ermordung. Reisende vom Stamm der Corco Duibhne kamen hier vorbei und redeten über die Gerüchte, daß Uaman der Aussätzige umgekommen sei. Diese Neuigkeiten beschäftigten Cináed ziemlich. Er hat mich mehrfach gefragt, ob mir irgend etwas Neues über meinen Vater zu Ohren gekommen sei. Ich konnte ihm nur sagen, daß ich nichts gehört hätte.«
»Hat er sich sonst noch irgendwie dazu geäußert?«
»Ihn schienen die Berichte zu beschäftigen, die über Uamans Tod im Schwange waren, und dann, daß er angeblich wieder am Leben sei. Mehrfach hat er den Satz vor sich hin gemurmelt: ›An der alten Geschichte kann doch was dran sein‹.«
»An der alten Geschichte kann doch was dran sein?« wiederholte Fidelma. »Weißt du, was er damit gemeint hat?«
Sinnchéne verneinte. »Ich habe ihn gefragt, doch er hat bloß gelächelt und erklärt, er müsse in der Bibliothek erst noch etwas nachsehen über Bäume.«
»Etwas über Bäume?«
»Er hat dann darüber gesprochen, daß Äbtissin Faife bald mit einer Schar Ordensschwestern eine Wallfahrt zum Bréanainn-Berg unternehmen wolle, dabei würden sie auch an Uamans Insel vorbeikommen. Er wollte, daß ich mit den Pilgern gehen und feststellen sollte, ob ich Olcán erkennen würde, falls wir ihm dort begegnen. Faife wollte mich nicht mitnehmen. Sie war zwar mit Cináed gut befreundet, fand aber, meine … mein Verhältnis mit Cináed sei ungehörig. Das war das letzte Mal, daß Cináed meinen Vater erwähnt hat. Dann sah ich Olcán als Gefangenen in die Abtei kommen. Es war schon so, wie du gesagt hast, ich erkannte ihn, und mir wurde schwarz vor Augen.«
»Und wie ist das mit dem Buch, an dem Cináed gearbeitet hat?«
|403| »Ich glaube, er hatte es abgeschlossen und dem jungen Bruder Faolchair zur Abschrift gegeben. Ich vermute …« Sie machte eine Pause, und ihre Lippen formten sich zu einem O, ehe sie erschrocken fragte: »Ob es zu den Büchern gehörte, die in der Bibliothek verbrannten?«
»Möglich wäre es«, erwiderte Fidelma ausweichend. »Kannst du dich erinnern, wie es hieß?«
»Ich weiß nur, es hatte einen lateinischen Titel.
»Scripta quae ad rempublicam …?«
begann Fidelma.
»Nein, es nützt nichts, ich kann mich an den Titel nicht erinnern«, sagte Schwester Sinnchéne entschieden. »Ich weiß lediglich, daß es irgendwie um Edelsteine ging.«
Über Fidelmas Gesicht huschte ein Lächeln. Da hatte sie die Bestätigung des Titels, genau, wie sie es vermutet hatte.
»De arte sordida gemmae«,
murmelte sie mehr zu sich.
»Ich hab dir doch gesagt, ich kann mich an den Titel nicht erinnern«, wehrte das Mädchen ab.
»Ist schon gut«, beschwichtigte sie Fidelma und schritt, wie in Gedanken versunken, langsam zur Tür. Plötzlich drehte sie sich zu der jungen Nonne um.
»Hast du deinen Vater gestern nacht ermordet?«
Das war ein brutales Vorgehen, um an die Wahrheit zu gelangen, brachte aber sofort ein Ergebnis. Schwester Sinnchénes Gesichtszüge bewiesen, daß die Frage sie wie ein Schlag traf. Fidelma verfolgte aufmerksam, wie verschiedene Gefühle über das Antlitz der jungen Nonne glitten, das schließlich zu einer Maske erstarrte.
»Willst du damit sagen, er ist tot?« fragte sie beinahe tonlos.
»Heute früh hat man Olcán in seiner Zelle tot aufgefunden.«
Das Gesicht des Mädchens blieb reglos.
|404| »Hat er sich selbst umgebracht? Vielleicht glaubte er, eher das tun zu müssen, als die Schande zu ertragen, Gefangener der Eoghanacht zu sein.«
Sie sagte das ganz ruhig, mehr wie eine sachliche Überlegung.
Fidelma streckte die Hand aus und legte sie der jungen Nonne auf die Schulter. »Nein, er wurde ermordet.«
Ihr Gesichtsausdruck blieb
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