Tod vor der Morgenmesse
in der kleinen Kapelle gleich beginnt. Bruder Cillín ist bereits dort. Ich nehme an, du wolltest auch dorthin.«
Eadulf zögerte kurz, doch was blieb ihm übrig? Das mußte mit kühner Stirn durchgestanden werden.
»Ja, natürlich.«
Der Chorsänger packte ihn am Arm – als hätte er das Bedürfnis, ihre Kameradschaft zu bekräftigen.
»Los, dann. Wir dürfen nicht versäumen, was Bruder Cillín zu verkünden hat.«
Er drängte Eadulf zur Kapelle. Andere Mönche eilten gleichfalls in die Richtung. Eadulf fiel auf, daß alle ihre Kapuzen tief ins Gesicht gezogen hatten. Auch sein Gefährte stülpte sich seine über. Eadulf konnte das nur recht sein, und er tat es ihm nach.
In der Kapelle waren etwa dreißig oder vierzig Ordensbrüder versammelt, sie standen in Reihen und mit über den Kopf gezogenen Kapuzen. Mit gemischten Gefühlen stellte sich Eadulf mit seinem neuen Freund hinten in der Kapelle neben eine Säule.
Alle verstummten. Bruder Cillín, der Chorleiter, trat mit zwei Begleitern aus einer Seitentür und baute sich vor den Versammelten auf. Zwar hatte auch er die Kapuze auf, doch Eadulf erkannte ihn gleich.
»Meine Brüder, es freut mich von Herzen, so viele von euch |416| hier versammelt zu sehen«, begann er in voll tönendem Bariton. »Unser großer Tag ist nicht mehr fern, und das, wofür wir so lange gearbeitet haben, wird sich erfüllen. Der Tag, an dem wir in der großen Abtei vor dem Hochaltar Aufstellung nehmen und alle Brüder und Schwestern in Staunen und Schrecken vor uns niedersinken werden.«
Eadulf fühlte sich sehr unwohl in seiner Haut und versuchte, sich rückwärts weiter in den Schatten zu schieben. Ob ihn das vor Bruder Cillíns durchdringenden Blicken schützen würde, mit denen der Musikmeister die Brüder vor ihm musterte, war fraglich. Eadulf zupfte nervös an seiner Kapuze, um so viel wie möglich von seinem Gesicht zu verdecken. Währenddessen fuhr Bruder Cillín in seiner Ansprache fort. »Ihr seid auserwählt worden, dem Endlosen Kreis anzugehören. Das ist eine große Ehre, und in Zukunft wird man in allen fünf Königreichen nur in ehrfurchtsvollen Tönen von euch sprechen. In den Tagen unserer Vorväter stand der Endlose Kreis für das ewige Leben, das keinen Anfang kennt und kein Ende. Der Kreis umschließt das Kreuz, und der in sich verschlungene Knoten steht für das Leben. Wir, die wenigen Auserwählten, haben uns als Leitspruch die lateinische Wendung
s ic itur ad astra
gewählt – so geht es hinauf zu den Sternen! Denn unser Wirken und unser Geschick lenken uns zu den Sternen, meine Brüder. Wir fliegen dorthin wie singende Vögel.«
Eadulf meinte schon, Bruder Cillín sei vollends verrückt geworden. Sein Redeschwall war überwältigend, und seine sprachlichen Bilder überstiegen die Vorstellungskraft jedes normalen Menschen.
Mit einemmal bückte sich der Chorleiter und nahm ein kleines, viereckig geformtes Instrument auf. Dergleichen kannte Eadulf, er wußte, man nannte es
ceis.
Es war viel kleiner als |417| eine Harfe, gehörte aber zu eben der Familie der Saiteninstrumente.
Der Musikmeister fuhr mit der Hand über die Saiten und schlug einen Ton an.
»Wir beginnen mit dem
súan traige
– dem Wiegenlied. Seid ihr bereit?«
Aus allen Reihen schallte ihm Zustimmung entgegen.
Der Ton wurde nochmals angeschlagen, und zu Eadulfs Überraschung stimmte die ganze Versammlung einen Choral an.
Draußen vor Mac Faosmas Studierzimmer traf Fidelma auf Conrí. Der Kriegsherr sah sehr erregt und bekümmert aus.
»Slébéne ist soeben in der Abtei aufgetaucht«, sprudelte er heraus. »Ich komme, um dich zu warnen, Lady.«
»Ah, wie interessant«, sagte sie finster, schien jedoch nicht im mindesten überrascht.
»Du nimmst das so ungerührt hin?« wunderte sich der oberste Krieger der Uí Fidgente.
»Zweifellos hat er von deinem Vorstoß auf die Seannach-Insel gehört und daß du die Gefangenen befreit hast. Jetzt wird er erfahren, daß Olcán ermordet wurde. Er kommt, um sich Befehle vom ›Meister‹ zu holen. Die Fäden laufen zusammen. Wie viele Krieger hat er bei sich?«
»Er ist mit nur einem Kriegsschiff gekommen, das liegt vor Anker im Hafen. In die Abtei hat er zwei seiner Männer mitgebracht, einer davon ist sein Leibwächter.«
»Wo ist er jetzt?«
»Beim Abt.«
»Und seine Leute?«
»Die werden in den Ställen sein. Offenbar haben sie sich in An Bhearbha Pferde beschafft.«
|418| »Hat er irgendeinen Grund für seinen Besuch
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