Tod vor der Morgenmesse
können?«
Gekicher und Lachen wurde hörbar. Sein früherer Gefährte aus An Daingean hatte sich entsetzt und soweit es nur ging von ihm zurückgezogen. Keinesfalls wollte er in den Verdacht geraten, mit ihm bekannt sein.
»Ich hatte nicht geglaubt, derart schlecht zu sein«, murmelte Eadulf, hochrot im Gesicht.
|421| Bruder Cillín lachte auf, doch es klang boshaft.
»Wir hier haben eine Redensart, Bruder Angelsachse, die lautet: Besser schweigen, als falsch singen. Das würde ich mir zu Herzen nehmen, wenn ich deine Stimme hätte. Ich will jetzt mit der Chorprobe fortfahren. Wenn du also andere Aufgaben hast, die deinem Talent mehr entsprechen, magst du uns verlassen.«
Er machte Platz, und Eadulf ging mit gesenktem Haupt durch die Reihe zur Kapellentür.
Hinter sich hörte er den Chorleiter sticheln: »Wir vom Endlosen Kreis müssen reine Stimmen haben. Jede Stimme muß sich in das Ganze einfügen. Deshalb nennen wir uns ja Endloser Kreis. Wir sollten auch eine andere Volksweisheit nicht vergessen: Ein räudiges Schaf verdirbt die ganze Herde.«
Noch einmal brachen die Chorsänger in spöttisches Gelächter aus.
Auf der Schwelle zog Eadulf die Tür nicht eben sanft zu und warf die Kapuze zurück. Er war gekränkt und wütend.
»Endloser Kreis!« höhnte er. »Blöder Name, wirklich! Für einen Haufen schreiender Esel.«
Drinnen stimmte man gerade eine neue Psalmodie an. Zerknirscht mußte Eadulf zugeben, der Chor klang glockenrein.
Fidelma begab sich mit raschen Schritten ins
tech-screptra
und schaute sich nach Bruder Eolas um.
»Ich habe eben den Ehrwürdigen Mac Faosma aufgesucht wegen der Genealogie, von der Conrí gestern abend gesprochen hat.«
Der Bibliothekar verzog die Lippen zu einem skeptischen Lächeln.
»Und der alte Herr hat sich geweigert, dir den Band zu zeigen.«
|422| »Im Gegenteil, ich habe in dem Manuskript geblättert. Wir mußten jedoch feststellen, daß es beschädigt worden ist.«
Auf Bruder Eolas Gesicht malte sich Entsetzen. »Beschä digt ?« flüsterte er.
»Ein Stück aus einer Seite ist herausgeschnitten worden. Und das, so scheint es, ist erst kürzlich geschehen.«
»Das kann nicht sein«, erwiderte er bestürzt.
»Ich kann dir versichern, daß es so ist«, sagte Fidelma ruhig und bestimmt.
»Die Bibliothek ist mein ganzer Stolz, Schwester.« Er drehte sich um und winkte Bruder Faolchair heran. »Ich muß schon sagen, wir haben nie unliebsame Vorkommnisse gehabt, erst seit du hier bist. Da wurden Cináeds Bücher verbrannt … Und jetzt … Ich verstehe das alles nicht.«
Bruder Faolchair eilte zu ihnen, bleich und nervös.
»Weißt du, was mit der Genealogie der Uí Fidgente ist?« schnauzte der Bibliothekar ihn ärgerlich an. »Wann hat der Ehrwürdige Mac Faosma den Band entliehen?«
»Bruder Benen kam heute früh und hat ihn für den Ehrwürdigen Mac Faosma geholt. Das habe ich Schwester Fidelma bereits gesagt.«
»Du warst sehr hilfsbereit«, bestätigte Fidelma. »Der Ehrwürdige Mac Faosma hat den Band, und ich habe ihn dort eingesehen. Leider ist das Manuskript beschädigt. Ich glaube, wir können davon ausgehen, daß es schon beschädigt war, als Bruder Benen es holte.«
Der junge Mann war fassungslos.
»Mir ist nichts dergleichen aufgefallen, als ich das Buch Bruder Benen aushändigte.«
»Siehst du jedesmal die Bände auf Schäden durch, bevor du sie herausgibst und wenn sie zurückgebracht werden?«
|423| Der Hilfsbibliothekar verneinte das und wunderte sich über die Frage. »Warum sollte man das tun?«
»Um sicherzugehen, daß diejenigen, die Bücher ausleihen, sie nicht beschädigen, sondern mit Sorgfalt behandeln. Du sagst, dir ist eine Beschädigung nicht aufgefallen. Ich gebe zu, man muß schon sehr genau hinsehen, um so etwas zu entdecken. Es ist nur ein winziges Stück Pergament aus einer Seite mit der Spitze eines scharfen Messers herausgeschnitten worden. Man kann dich wirklich nicht dafür rügen, daß dir das entgangen ist.«
Der Oberbibliothekar fühlte sich bemüßigt, eine grundsätzliche Erklärung abzugeben. »Wenn Brüder und Schwestern des Klosters in die Bibliothek kommen, um unsere Bücherschätze zu benutzen, nehmen wir doch nicht an, daß wir es mit Vandalen zu tun haben. Die meisten sind Gelehrte, Schreiber oder Studierende. Warum sollten wir ihnen nicht zutrauen, daß sie sich so benehmen, wie es sich bei ihrem Beruf oder ihrer Tätigkeit gehört?«
»Offenbar hat sich irgend jemand nicht so benommen.«
»Mir
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