Tod vor der Morgenmesse
wir leben und ihn rühmen. Damit erklärt sich die für die Klostergemeinde geltende Regel.«
Eadulf dachte nach.
»Daß man der Kontemplation beim Essen eine solche Bedeutung beimißt, höre ich zum ersten Mal. Ich finde, unser Verstand sollte gleichermaßen wach sein für geistige Nahrung und dankbar für unser täglich Brot. Gibt es nicht eine Redewendung, die den Unwissenden in Schutz nimmt, dessen täglich Brot besser ist als seine Bildung?«
Abt Erc, der das Gespräch zwischen den beiden mit angehört hatte, warf gereizt ein: »Unsere Auffassung über Speis und Trank hat etwas mit dem Maßhalten zu tun, wie du bemerkt haben wirst.« Er verstummte und blickte den angelsächsischen Mönch herablassend an. »Dir dürfte aufgefallen sein, daß wir nichts von Völlerei halten, wie sie in manchen Gemeinschaften gang und gäbe ist. Wir sind der Ansicht, ›Je seltener die Frucht, desto köstlicher ihr Geschmack‹.«
Im Gemach des Abtes brannte Feuer im Kamin, und Bruder Cú Mara brachte ein Tablett mit Glühwein. Eadulf stutzte angesichts der reichlich gefüllten Pokale. Der Abt bemerkte es sehr wohl und erkannte auch den Beweggrund.
»Für uns Uí Fidgente gilt noch eine andere Spruchweisheit, Bruder Eadulf: ›Zur Gastlichkeit gehört ein guter Trunk‹.« Er erhob den Pokal, und die anderen taten es ihm nach. »Genug der Betrachtungen über die Früchte der Erde.« Er wies auf die Stühle, die man vor den Kamin gruppiert hatte. »Ich habe euch zu mir geladen, weil es gilt, ernste Dinge zu beraten. Um es vornweg zu sagen: Ich halte es nicht für klug, daß Fürst Conrí dich hergebracht hat, Fidelma von Cashel. Unter den Uí Fidgente gibt es genug Brehons von Ruf, die in der Lage wären, unsere Probleme zu lösen, ohne Cashel zu bemühen.«
|59| »Cashel wird in dem Falle in keiner Weise bemüht«, versicherte ihm Fidelma ruhig und glitt in einen der hölzernen Armsessel vor dem Feuer. »In der Ausübung meiner Pflichten als
dálaigh
bin ich an keinerlei Stammesgebiete oder Königreiche gebunden. Kommen wir also zur Sache und zu den Tatsachen, wie sie dir bekannt sind.«
Abt Erc setzte sich, nahm einen Schluck Wein, stellte den Pokal auf den Tisch neben sich ab und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Einen frohen Eindruck machte er nicht unbedingt, und Eadulf dachte schon, er würde es ablehnen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Der Abt aber erklärte schlichtweg: »Ich glaube, dem, was Conrí dir bereits erzählt hat, gibt es wenig hinzuzufügen.«
»Geh davon aus, er hätte mir gar nichts gesagt«, meinte Fidelma und lächelte verbindlich. »Auskünfte aus erster Hand sind allemal besser, als sich auf Schilderungen anderer verlassen zu müssen.«
»Wir sind, wie du gesehen hast, ein
conhospitae,
ein gemischtes Haus, in dem Mönche und Nonnen gemeinsam wohnen«, begann Abt Erc. »Unsere Kinder werden zum Dienst im Glauben Christi erzogen. Ich kann nicht sagen, daß ich das gutheiße, ich gehöre eher zu denen, die für das Zölibat unter Ordensleuten eintreten.« Er machte eine Pause und zuckte mit den Schultern. »Wie dem auch sei, ich diene seit zehn Jahren hier als Abt, und Äbtissin Faife war sieben Jahre lang das Oberhaupt der frommen Schwestern. Jeweils einmal im Jahr ist sie mit einer ausgewählten Gruppe auf Wallfahrt zum Bréanainn-Berg gezogen, dem Ort, an dem unser heiliger Gründer der Abtei geheißen wurde, sich aufzumachen und Bruderschaften zu stiften zum Ruhme Christi und des Neuen Glaubens.«
Wieder legte er eine Pause ein, doch alle schwiegen.
|60| »Äbtissin Faife brach also mit ihren Schützlingen auf. Sie wählte den Weg über Land gen Süden zum Kloster Colmán. Zwischen unseren beiden Abteien waren Fragen der Gottesdienstordnung zu klären. Danach wollte sie weiter durch das Gebiet der Corco Duíbhne bis zum Aufstieg auf den Bréanainn.«
Abermals eine Pause und allseitiges Schweigen.
»Das erste Mal, daß ich erfuhr, daß etwas vorgefallen war«, nahm er den Faden wieder auf, »war, als der Kaufmann Mugrón hier in der Abtei erschien. Mugrón betreibt seinen Handel von dem uns nächstgelegenen Seehafen aus, An Bhearbha, etwa acht Kilometer von hier.«
»An Bhearbha? Ein seltsamer Name für einen Hafen, muß ich schon sagen. Bedeutet das nicht soviel wie ein Ort, an dem das Wasser kocht?« fragte Eadulf, wie stets darauf bedacht, sein Wissen zu erweitern.
»Man hat ihn nach einem Fluß benannt, der an dieser Stelle in den Ozean mündet. Es ist ein reißender Fluß, und seine
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