Tod vor der Morgenmesse
Strömungen sind unberechenbar«, erläuterte der Abt. »Mugrón hatte mit den Corco Duíbhne Geschäfte getätigt. Wegen des unfreundlichen Wetters war er nicht zurück durch die Bucht gesegelt, sondern hatte sich für den Küstenweg zur Abtei Colmán entschieden. Es war kalt, und starkes Schneetreiben setzte ein. Mugrón kannte sich in der Gegend aus und wußte, daß es an der Wegstrecke eine kleine Steinhütte gab, wo er Schutz suchen konnte. Genau dort fand er den Leichnam der Äbtissin. Sie war erstochen, mitten durchs Herz. Er vergrub sie in einer Schneewehe, um sie vor Verunglimpfung durch Räuber oder wilde Tiere zu bewahren, und eilte hierher.«
»Was hast du daraufhin unternommen?« fragte Fidelma.
»Der Zufall wollte es, daß Conrí, der ja ein Neffe der Äbtissin ist, hier in der Abtei weilte. Er nahm seine Krieger und |61| ritt mit Mugrón an den Unglücksort. Es war immer noch bitterkalt, und der Schnee hatte die … eh, hatte alles zugedeckt und geschützt. Von den sechs Nonnen fand sich keine Spur. Conrí und seine Leute machten noch einen Umweg über die Abtei Colmán, wollten erkunden, ob Äbtissin Faife mit den ihr Anbefohlenen dort eine Rast eingelegt hatte während ihrer Wallfahrt.«
»Und hatte sie?«
Conrí mischte sich ein. »Wie ich dir bereits berichtet habe, Lady, war bis zu dem Zeitpunkt, da sie die Abtei Colmán verließen, nichts Außergewöhnliches geschehen. Äbtissin Faife und die sechs frommen Schwestern hatten die Dinge abgesprochen, die sie regeln wollten, und waren weitergezogen.«
»Wo, von der Abtei aus gesehen, liegt diese Steinhütte?«
»Richtung Halbinsel der Corco Duíbhne; wenn man immer auf der Straße südlich der Berge am Ufer bleibt, dürften es nach meiner Schätzung nicht mehr als zwanzig Kilometer sein.«
Eadulf runzelte die Stirn. »Hatte da nicht in der Nähe Uaman, der sich Herr der Bergpässe nannte, seine Inselfestung?«
»Du hast von dem Ort gehört?« fragte Abt Erc mißtrauisch zurück.
»Ich war Gefangener von Uaman, dem Aussätzigen. Ich habe ihn sterben sehen, und es hat mir nicht leid getan, das mitzuerleben.«
»Du hast recht mit deiner Vermutung, Bruder Eadulf«, bestätigte Conrí. »Die geschwärzten Ruinen seines Räubernests, Uamans Turm nannte man es, sind von der Stelle zu sehen, an der man den Leichnam der Äbtissin gefunden hat. Es heißt, die Leute aus der Umgebung sind darüber hergefallen – über die Festung meine ich –, kannten kein Erbarmen.«
|62| »Ich kann die Zerstörung bestätigen«, betonte Eadulf mit grimmiger Genugtuung. »Die Leute waren nicht zu halten, als Uaman ertrank. Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen. Der Treibsand war sein Verderben, der machte die Fußwanderung zu seiner Inselburg bei Ebbe höchst gefährlich.«
»Die Menschen haben viel erdulden müssen unter ihm«, räumte Abt Erc ein. »Von jedem, der sein Gebiet passierte, trieben Uamans Banden Wegezoll ein. Aber ich muß auch ein gutes Wort für ihn einlegen. Er hat nie vergessen, daß er einmal Fürst der Uí Fidgente war – den durchziehenden Glaubensbrüdern und -schwestern hat er nie etwas getan. Äbtissin Faife ist mehrfach auf ihrer jährlichen Wallfahrt zur Kapelle auf dem Bréanainn sicher und unbeschadet durch sein Land gezogen.«
»Bruder Eadulf hat es noch einmal bestätigt, Uaman ist tot, und seine Männer sind in alle Winde versprengt«, kam Conrí rasch auf ihren Ausgangspunkt zurück. »Wir sollten uns darauf konzentrieren, ob und welche Erklärungen wir für die jetzige Situation haben.«
Fidelma hatte die Hände im Schoß gefaltet.
»Du sagst also, der Tatort liegt nicht weit von der Küste? Könnte es sein, daß Seeräuber just dort an Land gekommen und die sechs jungen Schwestern fortgeschleppt haben? Angelsächsische und fränkische Piraten haben oft genug an unserer Südküste solche Beutezüge unternommen.«
Der Abt überdachte das Argument. »Wäre möglich. Aber das Wetter war zu dem Zeitpunkt stürmisch und unberechenbar. Es hätte schon ein sehr tollkühner Kapitän sein müssen, der unter solchen Bedingungen einen Raubzug über die großen Wasser wagt.«
»Trotzdem, ausgeschlossen ist es nicht«, sagte Fidelma. »Die Häfen hier werden von Handelsschiffen angelaufen. Das |63| erinnert mich: Ich würde gern mit Mugrón, diesem Kaufmann, sprechen.«
»Wir können ihn holen lassen«, erklärte Bruder Cú Mara bereitwillig. »Wäre morgen nach dem Frühstück recht?«
»Das paßt gut, ja. Zur weiteren Klärung der
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