Tod vor der Morgenmesse
zur Großen Synode in der Abtei St. Hilda in Northumbrien entsandt. Lange regierte Cathal nicht, er wurde von der Gelben Pest dahingerafft. So war Máenach der einzige Verwandte geblieben, der bei ihr gewissermaßen Vaterstelle vertreten hatte. Lebhaft kam ihr jetzt in den Sinn, wie sie und ihr Bruder am Ufer des breiten Suir gespielt und zugesehen hatten, wie die Handelsschiffe den Fluß hinauf- und hinabglitten.
»Lady?«
Sie schreckte hoch, wurde aus dem Meer der Erinnerungen wieder in die Wirklichkeit des Klostergartens versetzt und sah die etwas ratlosen Blicke der anderen auf sich ruhen. Angesprochen hatte sie Bruder Cú Mara.
»Verzeiht, Jugenderinnerungen haben mich überwältigt, schon gut. Komm Mugrón, setzen wir uns eine Weile. Erzähl, wie du den Leichnam von Äbtissin Faife gefunden hast.«
Sie und der Kaufmann ließen sich auf der Holzbank nieder, während Conrí und der Verwalter daneben stehenblieben.
»Das war reiner Zufall«, begann der Handelsmann und zögerte. »Tja, womit fang ich am besten an?«
»Vielleicht damit, wie es dazu kam, daß du im Gebiet der Corco Duíbhne ausgerechnet auf jenen Weg geraten bist«, schlug ihm Fidelma aufmunternd vor.
Er überlegte einen Augenblick, als müßte er seine Gedanken erst ordnen.
»Wie man dir wahrscheinlich berichtet hat, bin ich der Großhändler in dieser Gegend und wohne an der Küste südwestwärts von hier.«
»Ja, soviel hat man mir berichtet«, bestätigte Fidelma ernst.
»Ich bin Eigentümer einiger Schiffe, und unser Handel entlang |86| der Küste hier läuft recht gut. Oft habe ich auch Aufträge, die Abteien mit Gütern unterschiedlichster Art zu beliefern.« Er machte eine Pause. »Vor ein paar Wochen hatte ich mich aufgemacht, mit den Corco Duíbhne einige Waren auszutauschen. Ich treibe regelmäßig Handel mit ihnen.«
»Und das zu Fuß?«
Mugrón schüttelte den Kopf.
»Die einfachste Art, Güter zu befördern, besteht darin, vom Hafen An Bhearbha kurz über die große Bucht zu der Halbinsel zu segeln, die ihr Stammesgebiet ist. Bei gutem Wetter fährt man einfach westwärts, dann um die Landzunge herum durch die Inselgruppe hindurch und anschließend südwärts genau in die Bréanainn-Bucht hinein. In der Bucht gibt es einen guten Anlegeplatz, und das ist für die Händler der Corco Duíbhne der allgemeine Treffpunkt. Der Aufstieg in die Berge ist dann nicht schwierig. Der höchste ist der Bréanainn. Dort oben unterhält das Kloster von hier eine Kartause mit einer kleinen Gemeinschaft frommer Leute. Das ist genau die Stelle, wo der Gründer …«
»Den Bréanainn und seine Geschichte kenne ich ziemlich gut«, unterbrach ihn Fidelma und suchte ihre Ungeduld zu verbergen. »Du bist also auf der Nordseite der Halbinsel in die Bréanainn-Bucht gesegelt, um dort Handel zu treiben. Wie erklärt es sich, daß du später auf der Südseite der Insel auf dem Landweg unterwegs warst und dich folglich von deinem Schiff entferntest?« Sie zögerte, weil ihr gerade noch ein anderer Gedanke kam. »Warum hat die Äbtissin mit ihren Schützlingen nicht den von dir beschriebenen schnelleren und leichteren Weg zur Einsiedelei auf dem Bréanainn gewählt? Wieso ist sie mitten im Winter mit ihren jungen Nonnen zu Fuß durch all den Schnee gezogen, wenn das doch bestimmt der längere Weg zu ihrem Ziel war?«
|87| Bruder Cú Mara hüstelte verlegen. »Darf ich dich daran erinnern, Lady, dafür gab es zwei gute Gründe. Zum einen war ihr erstes Ziel das Kloster Colmán, mit dem sie einiges zu vereinbaren hatte. Von Ard Fhearta kommt man am besten zu Fuß dorthin. Zum anderen ist sie bei ihren Pilgerreisen stets dem Pfad gefolgt, den der heilige Bréanainn ursprünglich bei seiner Wanderung zum Berg eingeschlagen hatte.«
»Ach ja, natürlich. Hatte ich im Augenblick vergessen«, unterbrach ihn Fidelma knapp. »Doch das erklärt noch nicht, warum du, Mugrón, dein Schiff im Hafen gelassen und die beschwerliche Wanderung über Land unternommen hast.«
Treuherzig sah Mugrón sie an.
»Wie schon gesagt, Lady, wenn das Wetter gut ist und der Wind aus West kommt, gibt es keinen schnelleren Weg über die große Bucht zurück in den sicheren kleinen Hafen hier. Unsere Hinfahrt verlief ganz glatt. Eine kräftige Brise wehte ablandig aus Ost, so daß wir zügig dahinsegelten. Doch kaum hatten wir angelegt und die Ladung gelöscht, kam Sturm auf. Bei dem Schneetreiben blieb uns nichts anderes übrig, als möglichst dicht unter Land zu ankern. Aber weil
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