Tod vor der Morgenmesse
abwischen.
»Zuerst dachte ich, ich muß den Toten wieder eingraben, doch dann … dann sagte ich mir, hier ist nicht der Ort, einen Leichnam zu bestatten. Wie denn, nur unter einem Haufen Schnee? Schließlich gewann meine Neugier die Oberhand, ich wollte sehen, wen ich da gefunden hatte, und scharrte noch mehr Schnee beiseite. Entsetzt fuhr ich zurück, als ich das Gesicht der Leiche freilegte. Äbtissin Faife war mir gut bekannt. Ich entdeckte die schreckliche Schwertwunde in der Brust, die ihr den Tod gebracht hatte. Eine Weile stand ich ratlos da. Schließlich entschloß ich mich, sie aufzuheben und hinter die Steinhütte zu tragen. Dort vergrub ich sie im Schnee, häufte noch mehr Schnee darauf und drückte ihn fest.«
»Warum denn das?«
»Ich wollte den Leichnam sichern, so gut es eben ging. Hätte ich ihn da gelassen, wo er lag, hätte ihn ein anderer finden können. Ich würde im Galopp nach Ard Fhearta reiten müssen, ging mir durch den Kopf, und berichten, was vorgefallen war. Soviel stand fest, man hatte sie ermordet.«
»Und sonst hast du nichts gesehen, woraus man schlußfolgern konnte, was sich zugetragen hatte? Keine Spur von ihren Begleiterinnen, kein Hinweis, was ihnen zugestoßen sein könnte?«
|91| Mugrón schüttelte entschieden den Kopf. »Ich war schon auf halbem Wege zum Kloster Colmán, da erst fielen mir die anderen frommen Schwestern ein«, gestand er. »Aber von niemandem sonst gab es auch nur das mindeste Anzeichen. War ja auch kein Wunder, bei dem vielen Schnee, seit Tagen hatte es immer wieder geschneit.«
»Du bist also nicht auf weitere Leichen gestoßen?«
»Jedenfalls nicht bei der Äbtissin.«
Sie fuhr hoch. »Heißt das, in der Umgebung lagen noch mehr Tote?«
Mugrón nickte. »An dem Küstenstrich da muß sich ein Schiffbruch ereignet haben. Frische Trümmer trieben am Ufer, und dazwischen auch ein oder zwei Leichen. Um die konnte ich mich nicht kümmern, du mußt bedenken, ich war ganz allein.«
Fidelma lehnte sich zurück und schwieg. Dann fragte sie: »Du hattest doch die Absicht, in den
coirceogach
zu gehen und deine Sachen irgendwie zu trocknen. Bist du wirklich hineingegangen?«
»Ja, aber nur kurz.«
»Und drinnen war nichts, woraus du hättest schließen können, was vorgefallen war?«
»Auf der Herdstelle mußte erst unlängst Feuer gebrannt haben.« Er zog die Brauen zusammen, dachte nach. »Und in eine Ecke hatte jemand ein paar Kleidungsstücke geworfen.«
Conrí nickte zustimmend. »Die Lumpen lagen noch da, als wir dort waren. Auch ein völlig durchnäßter Stiefel stand daneben.«
Fragend schaute Fidelma den Kriegsherrn der Uí Fidgente an. »Ein Stiefel?« wiederholte sie, denn anstatt das Wort
cuaran
für einen gewöhnlichen Schuh zu gebrauchen, hatte er
coisbert
verwendet, den Begriff für eine größere Fußbekleidung.
|92| »Ein Stiefel, wie ihn Seeleute tragen«, erklärte der Händler sofort. »Aber der da war nicht von hier, sah ganz fremdländisch aus.«
Fidelma horchte auf. »Wie kommst du darauf?«
Mugrón schmunzelte und erwiderte selbstgefällig: »Das hat was mit meinem Beruf zu tun, Lady. Ich wäre ein armseliger Handelsmann, könnte ich einen einheimischen Stiefel nicht von einem fremdländischen unterscheiden. So ein Stiefel dürfte überall in Gallien vorkommen. Ich möchte sogar behaupten, daß diese Art viele Seeleute aus Aremorica tragen.«
»Meinst du wirklich?«
»Als ich mit Fürst Conrí noch einmal dort war, haben wir uns die Kleidungsstücke und den Stiefel genau angesehen.«
»Und was habt ihr mit den Sachen gemacht?«
»Die haben wir in der Hütte gelassen.«
Schweigend überdachte Fidelma diese Aussagen. Schließlich meinte sie: »Hast du mir sonst noch etwas zu berichten?«
»Nein, nichts weiter.«
»Gar nichts, das dir in Erinnerung geblieben ist? Auch wenn es nichts mit dem Tod der Äbtissin zu tun hat?«
Der Kaufherr wollte wieder den Kopf schütteln, besann sich aber.
»Also gab es doch noch etwas«, bohrte Fidelma.
Mugrón zuckte die Achseln. »Damit hat das nichts zu tun. Ich habe vorhin den Schiffbruch erwähnt und die Leichen. Es ist nicht das erste Mal, daß an dieser Küste ein Schiff scheitert. Nur fiel mir auf, daß das Unglück sich gerade erst ereignet haben mußte. Die Wrackteile auf dem Ufer waren überhaupt nicht verfärbt. Das hat sich mir selbst im bloßen Vorbeigehen eingeprägt.«
»Demnach könnte dein Stiefel aus Gallien jemand gehören, |93| der den Schiffbruch überlebt hat«,
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