Tod vor der Morgenmesse
Dunkelheit und Materie das Böse verkörpern und daß kein Mensch verheiratet und gleichermaßen vollkommen sein kann. War es nicht der Heilige Vater Gregor der Große, der sagte, daß jedes geschlechtliche Verlangen sündhaft ist?«
Fidelma schnaubte verächtlich.
»Willst du damit zum Ausdruck bringen, daß ein natürliches Verlangen von Übel ist? Das würde ja heißen, daß Gott, den wir verehren, Übles und Böses geschaffen hat!«
Mac Faosma wollte etwas erwidern, aber sie wehrte mit der Hand ab.
»So ein theologischer Disput mag durchaus anregend sein, |123| Ehrwürdiger Mac Faosma, aber es hat wenig mit dem zu tun, was mich hergeführt hat.«
»Ich lege darauf Wert, klarzustellen, daß ich zu der Bruderschaft gehöre, die glaubt, daß wir frommen Männer im Zölibat leben sollten«, beharrte der Alte. »Ich bin ein Anhänger der Bestimmung der Synode von Laodicea, die besagt, Frauen sollen nicht zum Priester geweiht werden, und es darf nicht geduldet werden, daß Frauen das heilige Abendmahl zelebrieren.«
»Du hast nun deine Ansichten dargelegt«, meinte Fidelma geduldig. »Jetzt laß uns darüber sprechen, weswegen ich hier bin.«
»Und das wäre?«
»Gewiß gehe ich in der Annahme nicht fehl, daß du ein Interesse an dem Werk des Ehrwürdigen Cináed zeigst, den man vor wenigen Tagen hier im Kloster ermordet hat.«
»Interesse?« höhnte der verknöcherte Gelehrte. »Der Mann war ein Scharlatan, schlimmer noch, ein Verräter!«
»Daß ihr über eure Auffassungen häufig öffentlich debattiert habt, kann ich mir gut vorstellen.«
»Sofern seine krausen Gedanken ein Streitgespräch lohnten. Ich habe lediglich die richtige Ansicht durchsetzen geholfen, damit er nicht in den Köpfen der jungen Studenten hier Unheil stiftete.«
»In welcher Hinsicht, glaubst du, hat er seine Studenten zu irrigen Ansichten geführt?«
»In welcher Hinsicht? In vielerlei Hinsicht, aber das würdest du sowieso nicht verstehen; wer die Zusammenhänge auch nur annähernd erfassen möchte, müßte Philosophie studiert haben.«
Fidelma verzog keine Miene, wenngleich die Anmaßung des Mannes sie empörte.
|124| »Jemandem, der nachweislich den Rang eines
anruth
erworben hat, kann man nicht Wissen und Verstandeskraft absprechen«, erklärte sie unerschütterlich.
»Und einer, der es bis zum
ollamh
gebracht hat, dürfte da anderer Meinung sein«, spottete der Alte. Der Punkt ging an ihn, denn
ollamh
war der höchste Grad, der in weltlichen und geistlichen Hohen Schulen der fünf Königreiche vergeben wurde. »Was kann eine wie du schon von der Glaubensbotschaft der heiligen Dreifaltigkeit wissen?«
Mit zusammengekniffenen Augen nahm Fidelma die Herausforderung an.
»Ich weiß immerhin, der Begriff drückt unseren Glaubensinhalt aus, daß Gott eine Einheit von drei Wesenheiten darstellt – Gott Vater, Gott Sohn und Heiliger Geist, und daß Tertullian den Begriff vor vier Jahrhunderten geprägt hat. Ich weiß, daß die heilige Dreifaltigkeit Teil des weithin anerkannten Glaubensbekenntnisses ist …«
»Quicunque vult salvus esse …«,
zitierte Mac Faosma die einleitenden Worte und hob die Stimme wie zu einer Frage, wollte Fidelma herausfordern, die formelhafte Wendung zu Ende zu bringen. »Wer auch immer erlöst sein will … Wie lautet der Kernsatz der Glaubenslehre?«
»
…
ut unum Deum in Trinitate, et Trinitatem in unitate veneremur …
«, führte Fidelma den Leitsatz auf Latein zu Ende
.
»Daß wir einen Gott in der Dreifaltikeit und die Dreifaltigkeit in ihrer Einheit verehren, weder die Personen vermengen noch den wesenhaften Kern zu spalten versuchen.«
Tiefsinnig betrachtete der Ehrwürdige Mac Faosma sein Gegenüber.
»Über einige grundlegende Kenntnisse scheinst du zu verfügen«, stellte er mürrisch fest. »Also gut, Cináed war ein Monotheist. Weißt du, was das ist?«
|125| »Er glaubte an einen Gott und nicht an drei. Das heißt, seiner Auffassung nach steht in der Heiligen Schrift nichts über die Dreifaltigkeit. Auf dem Konzil zu Nicäa ging es um die Streitfrage: soll man Christus als Gottheit sehen und nicht nur als eine von Gott geschaffene Gottheit? So wie ich es verstehe, wurde in Nicäa im Grunde genommen die Vorstellung des heiligen Gregor, des Wundertäters von Neocaesarea, übernommen.«
Mac Faosma nickte.
»Die gelehrten Kirchenväter anzugreifen, heißt die Seele des Glaubens beschädigen. Was Cináed geschrieben hat, ist blasphemischer Unsinn.
Qui vult ergo salvus esse, ita de
Weitere Kostenlose Bücher