Tod vor der Morgenmesse
Trinitate sentiat.
Wer erlöst werden will, muß deshalb an die Dreieinigkeit glauben. Cináed hatte unrecht. Absolut unrecht. Rom hat festgelegt, daß es weder drei Götter noch drei Erscheinungsformen von Gott gibt, sondern daß sie wesensgleich sind und auf immer und ewig eine dreieinige Gottheit darstellen.«
Fidelma senkte den Kopf.
»Das ist natürlich die logische Schlußfolgerung, andernfalls würde der Begriff der Dreifaltigkeit vom unverbrüchlichen Monotheismus der Religion Abrahams abweichen, die Christus uns aufs neue ausgelegt und vorgelebt hat.«
Der Ehrwürdige Mönch starrte sie verärgert an. »Für uns gilt die Glaubensbotschaft des heiligen Bischof Athanasius von Alexandria, denn dort steht eigens geschrieben, nur der kann gerettet werden, der aufrichtig glaubt. Ins ewig währende Feuer aber stürzt hinab …
qui vero mala, in ignem aeternum!
«
Fidelma lächelte nachsichtig. »Ich könnte mir vorstellen, daß die höchste Gottheit, der Herr im Himmel, freundlicher auf die Geschöpfe schaut, die er mit Verstand und mit der |126| Fähigkeit zum In-Frage-Stellen ausgestattet hat. Ich kann mich erinnern, daß der Ehrwürdige Cináed auch die Auffassung angezweifelt hat, Bischof Athanasius hätte dieses Glaubensbekenntnis vor drei Jahrhunderten verfaßt. Er argumentierte, daß das Glaubensbekenntnis in seinem symbolträchtigen Wortlaut lateinisch wäre, Athanasius aber, wäre er wirklich der Verfasser gewesen, es auf Griechisch verfaßt hätte. Cináed hat darauf verwiesen, daß uns genügend Arbeiten von Athanasius überliefert sind, um Vergleiche zu ziehen. In der Glaubensbotschaft fehlten Wendungen, die ihm hoch und heilig waren. Er hätte Wörter wie
homoousion
für ›von gleichem Wesen‹ benutzt und nicht
consubstantialem,
ein Begriff, der im Lateinischen gebräuchlich ist.«
Höhnisch lachte der Ehrwürdige Mac Faosma auf. »Erhebst du jetzt noch Anspruch, dich in der Sprachwissenschaft auszukennen, Schwester, und nicht nur in der Philosophie?«
»Nichts liegt mir ferner als das. Ich habe lediglich Cináeds Abhandlung über die Dreifaltigkeit gelesen. Das einzige, worauf ich Anspruch erhebe, ist, daß ich eine
dálaigh
bin und in dieser Eigenschaft den an ihm verübten Mord untersuche.«
»Und was hat sein Tod mit mir zu schaffen?«
»Wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?« Die Frage kam streng und unerwartet und ließ den Alten zurückschrecken.
»Einen Tag, bevor man seine Leiche entdeckte. Ich bin ihm in der
tech-screptra
begegnet. Gesprochen haben wir nicht miteinander. Ich habe keine Veranlassung, mit einer Person zu reden, deren Ansichten fern des orthodoxen Denkens unseres Glaubens sind. In öffentlichen Disputationen ist das etwas anderes.«
»Du hast ihn danach nicht noch einmal gesehen?«
»Das habe ich dir bereits mitgeteilt. Mein Gehilfe, Bruder |127| Benen, kam am nächsten Tag mit der Nachricht, man habe Cináed tot aufgefunden. Mehr weiß ich nicht.«
»Zuletzt hast du ihn also in der Bibliothek gesehen?«
»Wie schon gesagt.«
»Bleiben wir bei der Bibliothek. Mir ist bekannt, daß du eine von Cináeds Abhandlungen ausgeliehen hast.«
Er holte hörbar Luft.
»Du warst nicht untätig, Schwester. Hast du Erkundungen über mich eingezogen?«
»Ich habe besagtes Buch gesucht. Da du es entliehen hast, kannst du mir vielleicht auch sagen, wieso?«
»Wir sprechen von einem verwerflichen Text«, erklärte er giftig. »Ein Text, der noch hinterhältiger ist als Cináeds sonst übliches Geschwätz über die Urgründe unserer Religion.«
Fidelma faltete die Hände und lehnte sich zurück.
»Ein verwerflicher Text? Man sagte mir, es sei eine Betrachtung zu politischen Vorgängen gewesen.«
»Cináed war ein Uí Fidgente. In diesem Land wurde er geboren, in seinen Lehranstalten erfuhr er Bildung und Förderung. Wie ein Bluthund ist er darüber hergefallen und hat damit sein Geburtsrecht verwirkt.«
»Ich fürchte, das mußt du mir etwas näher erklären.«
»Du bist eine Eoghanacht und kannst dafür ohnehin kein Verständnis aufbringen.«
»In erster Linie bin ich eine
dálaigh
und erst dann eine Eoghanacht, so wie du in erster Linie Gelehrter bist und erst dann ein Uí Fidgente. Beide sind wir der Wahrheit verpflichtet«, gemahnte sie ihn ruhig.
Schweigend saß der Alte da und betrachtete sie mit starrem Gesichtsausdruck. Dann machte er eine Bewegung mit den Schultern wie nach einem inneren Ringen, ob eine Erwiderung |128| lohnte oder nicht, und entschied, auf
Weitere Kostenlose Bücher