Tod vor der Morgenmesse
Schwester hier, sondern in meiner Eigenschaft als
dálaigh,
die Bluttaten aufzuklären hat. Folglich wird er nicht umhin können, dem Gesetz Folge zu leisten. Ich denke, ich muß ihn nicht ausdrücklich daran erinnern.«
Hilflos breitete der junge Mann die Arme aus.
»Ich habe deine Botschaft meinem Herrn längst überbracht, Schwester Fidelma. Er bleibt dabei. Eine Frau der Eoghanacht soll ihm nicht vor die Augen kommen, und schon gar nicht eine, die sich anmaßt, im Land der Uí Fidgente Amtsgewalt auszuüben. Und daß sie in Begleitung eines Fremden von jenseits der großen Wasser ist, bestärkt ihn in seinem Entschluß.«
Eadulf konnte sich einer aufsteigenden Wut nur schwer erwehren, und Fidelma sah es ihm an. »Geh zu Conrí und teile ihm mit, daß der Ehrwürdige Mac Faosma sich weigert, mich zu empfangen; er möchte diese offenkundige Gesetzesmißachtung bitte den Abt wissen lassen«, hieß sie Eadulf in aller Ruhe.
Ihr Begleiter zögerte, ließ seinen Blick von Fidelma zum unerbittlichen |118| frommen Bruder schweifen, senkte den Kopf und eilte von dannen.
Kaum war er gegangen, ließ sich Fidelma im Schneidersitz vor Bruder Benen nieder. Verärgert sah der zu ihr hinab.
»Was tust du da, Schwester?« fragte er entrüstet. »Du kannst hier nicht einfach draußen vor der Tür sitzen bleiben.«
»Du wirst dich damit abfinden müssen, Bruder Benen, daß ich genau das zu tun gedenke. Ich habe deutlich gesagt, daß ich eine
dálaigh
bin, deren Machtbefugnis durch die Gesetzgebung der fünf Königreiche festgelegt ist. Der Ehrwürdige Mac Faosma ist laut Gesetz verpflichtet, mich zu empfangen und meine Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten.«
»Er wird das nicht tun. Keine physische Gewalt kann ihn dazu zwingen.«
»Physische Gewalt würde den Zweck verfehlen«, gab Fidelma gelassen zurück. »Mit der habe ich nichts im Sinn. Ich wende das einzige Gewaltmittel an, das er mir gelassen hat. Ich erkläre, daß ich hier so lange im
troscud
sitzen bleibe, bis der Ehrwürdige Mac Faosma sich entschließt, seine Ehre wiederzuerlangen und mit der
dálaigh,
das heißt mit mir, zu sprechen, so wie es das Gesetz vorschreibt und wozu er nunmehr auch moralisch verpflichtet ist.«
Der junge Mönch verzog das Gesicht. »Das verstehe ich nicht, Schwester.«
»Dann übermittle dem Ehrwürdigen Mac Faosma meine Worte und sag ihm außerdem, er möchte dich in Rechtsprechung unterweisen. Es bleibt ihm noch Zeit, mir eine Antwort zu geben, bevor der Abt und mein Zeuge hier erscheinen und meine
apad,
meine Willenserklärung, allgemein bekannt wird.«
Verunsichert ging Bruder Benen nach innen und schloß die Tür hinter sich. Draußen allein geblieben, fragte sich Fidelma |119| besorgt, ob sie nicht doch zu pathetisch geworden war. Mit einer derartigen Selbstherrlichkeit des Ehrwürdigen Mac Faosma hatte sie nicht gerechnet, und ihr war kein anderer Ausweg eingefallen, als sich auf das alte Ritual zu berufen.
Troscud
bedeutete vorsätzliches Fasten, um seine Rechte durchzusetzen, wenn einem keine anderen Mittel mehr zur Verfügung standen, um die Wiedergutmachung eines Unrechts zu erzwingen. In dem Traktat
De Chetharslicht Athgabála
war ausdrücklich festgelegt, daß, wenn sie ihren Entschluß verkündet hatte, sie vor der Tür des halsstarrigen Philosophen sitzen bleiben konnte. Kam es nicht zur Schlichtung und ließ der Beschuldigte es geschehen, daß der Protestierende infolge des Hungerstreiks starb, ward er moralisch verurteilt. Schmach und Schande waren sein Los so lange, bis er Wiedergutmachung anbot. Tat er das nicht, wurde er nicht nur von seiner Mitwelt verdammt, sondern blieb es auch im Jenseits und galt fortan als Mann ohne Ehre und sittliche Gesinnung.
Es war ein uraltes irisches Recht, das bis in die Frühzeit zurückreichte, und trotz des Vordringens des Neuen Glaubens hatte es sich behaupten können. Selbst Patrick hatte auf das Mittel des rituellen Fastens, des Hungerstreiks, zurückgegriffen, um seine begründeten Ansprüche durchzusetzen, und auch der heilige Cairmmin von Inis Celtra hatte einen
troscud
begonnen, als König Guaire Aidne von Connacht sich in seine Belange einmischte. Einige glaubten sich sogar daran zu erinnern, daß die Bewohner des Königreichs von Laghin in
troscud
gegangen waren, als Colmcille sich rücksichtslos über ihre Rechte hinwegsetzte. Selbst von Königen wußte man, daß sie dieses letzte Mittel benutzt hatten, wenn ihre Einflußsphären angefochten wurden.
Sie hatte gerade
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