Tod vor der Morgenmesse
Verhältnis, das du mir verschwiegen hast, als ich dich das erste Mal befragte«, bemerkte Fidelma schroff.
Der junge Mann wurde puterrot. »Ich meinte, es stünde mir nicht zu, so etwas dir gegenüber zu erwähnen.«
»Wem sollte es denn deiner Meinung nach zustehen?« fragte Fidelma bissig. »Wenn eine
dálaigh
eine Befragung durchführt, darf ihr keinerlei wesentliche Information vorenthalten werden.« Ohne weitere Bedenkpause wandte sie sich an die junge Nonne. »Dann wundert mich noch folgendes: Deiner Schilderung nach hat sich Cináed dir gegenüber über die geheimen Machenschaften geäußert. Als du vom Tod der Äbtissin erfuhrst, wäre es da bei eurem innigen Verhältnis zueinander nicht natürlich gewesen, ihn zu fragen, ob er seine Befürchtungen auch der Äbtissin anvertraut hätte und ob ihre Ermordung damit in Zusammenhang gebracht werden könnte?«
|192| Das Mädchen wußte nicht, was es darauf antworten sollte, und suchte hilflos stammelnd nach einer Antwort.
»Das … das ist mir erst in den Sinn gekommen, als ich mit Bruder Cú Mara darüber sprach.«
»Und warum erst dann?« fuhr Fidelma unbarmherzig fort. »Ist schon merkwürdig¸ zwar hast du nicht mit deinem Liebhaber darüber gesprochen, der sich große Sorgen wegen der möglichen Umtriebe machte, wohl aber hast du dich mit dem Klosterverwalter darüber unterhalten. Cináed hatte dich ins Vertrauen gezogen, du aber hast sein Geheimnis an Bruder Cú Mara weitergegeben. Warum?«
Schwester Sinnchéne schluchzte leise und fühlte nach Bruder Cú Maras Hand, der sehr verlegen wurde.
Fidelma sah die Bewegung, bestand nicht auf einer Antwort und lächelte nur grimmig. »Ich verstehe schon«, sagte sie ruhig.
Einen Moment lang hing unbehagliches Schweigen im Raum, dann entließ sie den
rechtaire
und die junge Nonne. »Das reicht für heute, ihr dürft gehen.« Diese Wendung überraschte Eadulf und verwirrte Conrí.
Verunsichert standen die beiden Befragten auf und zögerten noch. Das Licht von den inzwischen angezündeten Kerzen flackerte und fiel auf Bruder Cú Maras Ärmel und die Vorderfront seiner Kutte. Winzige Lichtpünktchen tanzten auf dem Gewebe. Mißtrauisch streckte Fidelma die Hand aus, strich über die Kutte und fühlte etwas Hartes, Körniges. Fragend blickte sie ihn an. »Allem Anschein nach hast du dich vor kurzem über Schwester Uallanns Arbeitstisch gebeugt.«
»Das letzte Mal bin ich mit dir zusammen in ihrer Apotheke gewesen«, rechtfertigte er sich unwirsch.
Die Erklärung machte Fidelma stutzig, dennoch bedeutete sie den beiden mit einer Handbewegung, sich zu entfernen. |193| Bruder Cú Mara und Schwester Sinnchéne verließen das
technigid
ohne ein weiteres Wort.
Sowie sich die Tür schloß, wandte sich Eadulf Fidelma zu, doch ehe er noch den Mund öffnen konnte, schüttelte sie den Kopf. Sie wußte schon, was ihn bewegte.
»Die Kunst einer ordentlichen Befragung besteht darin, zu wissen, wann man aufhören muß, den Tatverdächtigen weiter in die Enge zu treiben«, erläuterte sie. »Man darf nur soweit gehen, daß er sich verunsichert fühlt. Stellt man ständig weitere Fragen, bestärkt das den möglichen Täter. Verunsicherung schürt oftmals mehr die Ängste der Tatverdächtigen, ist wirkungsvoller, als auf sie einzuhämmern und sie zu Antworten zu zwingen, die nur ihre Halsstarrigkeit festigen. Doch was meinst du, ist das hier?«
Sie streute ihm ein halb Dutzend der winzigen Körnchen auf die Handfläche, und er hielt sie näher an die Kerzenflamme.
»Zermahlenes Gestein«, erklärte er nach eingehender Betrachtung. Kannst du an jedem Strand auflesen, wo der Anprall der Wogen Steine zu solchen Splitterchen zerreibt. Ich glaube, Korund nennt man diese Kristalle.«
Fidelma rieb sich den Rest der Krümel von den Händen. »Dann ist das für unseren Fall vielleicht ohne Belang.«
Eadulf ging hinüber zu dem Schemel, auf dem der
rechtaire
gesessen hatte, und ließ sich fallen.
»Wie wäre es, wenn du für uns kurz zusammenfaßt, was deine Befragung von Schwester Sinnchéne ergeben hat«, schlug er sachlich vor.
Knapp, aber ohne etwas Wesentliches auszulassen, berichtete Fidelma über den Verlauf ihres Gesprächs.
»Wenn sie wirklich ineinander verliebt waren, können wir Sinnchéne wohl als Mörderin ausschließen«, überlegte Eadulf.
|194| Der Ansicht war Fidelma nicht.
»Hinter dem Wörtchen ›wenn‹ verbergen sich mehrere Möglichkeiten. Meiner Meinung nach ist eine der beiden Frauen nicht
Weitere Kostenlose Bücher