Tod vor der Morgenmesse
mit einer anderen Schwester, und beide schafften sie fort.
Ich erkundigte mich bei Abt Erc, was geschehen sei. Er schaute mich an und fragte, ob ich wirklich nicht Bescheid wüßte. Das brachte mich auf. Wenn ich etwas wüßte, würde ich doch nicht fragen. Er erzählte mir, daß man am Morgen Cináed mit zerschmettertem Schädel gefunden hätte, er hätte hinter dem Altar gelegen. Ich war wie betäubt, konnte mich nicht rühren. Ich glaube, ich wurde ganz starr, bewegte mich wie im Traum. Ich fragte dann wohl, ob ich den Leichnam sehen könnte, aber man ließ mich nicht. Erst später, als man die Leiche fürs Begräbnis hergerichtet hatte, durfte ich ihn sehen und ihm zusammen mit den anderen Brüdern und Schwestern meine letzte Ehre erweisen. Man hatte ihn in der Hauptkapelle aufgebahrt.«
Fidelma faltete die Hände und betrachtete Schwester Sinnchénes Gesicht. Es war ein schönes und ausdrucksstarkes Gesicht. Kein Wunder, daß Cináed sie begehrte – hastig korrigierte sie ihre geheime Vorstellung –, daß Cináed sich in das junge Mädchen verliebte. Ihre Züge waren ohne Arg, die Augen groß und klar, auch wenn sie jetzt rot gerändert waren von den Tränen, die gezeigt hatten, wie verletzlich sie war.
|184| »Nach dem Ausbruch von Schwester Buan, hat da noch jemand etwas zu dir gesagt?«
»Bruder Cú Mara ist zu mir gekommen. Er war nett. Er wollte wissen, was Schwester Buan mit ihrem Anwurf gemeint hätte.«
»Hast du darauf etwas erwidert?«
»Ich hab ihm gesagt, daß die Frage am besten Schwester Buan selbst beantworten kann. Was mich betrifft, so hätte ich ein reines Gewissen.«
Fidelma erhob sich langsam.
»Noch ein letztes, bevor ich gehe. Hattest du viel mit Äbtissin Faife zu tun?«
Das Mädchen lächelte warmherzig.
»O ja! Sie hat mich in diesen Orden gebracht und war meine Novizenmeisterin.«
»Wie hast du sie kennengelernt?«
»Sie kam durch das Dorf, in dem ich lebte. Eine Woche zuvor war meine Mutter an der Gelben Pest gestorben. Es war niemand mehr da, der sich hätte um mich kümmern können. Die Gelbe Pest hatte viele aus meiner Familie dahingerafft.«
»Auch deinen Vater?«
Das Mädchen zögerte mit einer Antwort, schüttelte dann aber den Kopf.
»Er hatte unser Zuhause schon Jahre zuvor verlassen. Er war Krieger und ein Anhänger Eoganáns. Vermutlich ist er in einer Schlacht umgekommen. Nach seinem Fortgang haben wir nie wieder von ihm gehört. Ich war völlig auf mich allein gestellt, als Äbtissin Faife mir vorschlug, ihr hierher ins Kloster zu folgen.«
»Wenn ich richtig unterrichtet bin, so hat die Äbtissin eng mit dem Ehrwürdigen Cináed zusammengearbeitet.«
»Das stimmt. Sie hat ihm bei seinen Forschungen geholfen.«
|185| »Hältst du es für möglich, daß zwischen dem Tod der Äbtissin und dem des Ehrwürdigen Cináed ein Zusammenhang besteht?«
Der Gedanke verblüffte Schwester Sinnchéne.
»Glaubst du, es gibt den?« stellte sie die Gegenfrage.
»Ich ziehe es lediglich in Erwägung, mehr nicht. Gibt es zum Beispiel einen Grund dafür«, fuhr Fidelma fort und behielt dabei aufmerksam das Mädchen im Auge, »daß sich jemand fragt, ob Cináed der Äbtissin Faife ein gewisses Geheimnis anvertraut hat? Gibt es weiter einen Grund dafür, daß jemand glaubt, die Tatsache, daß der Leichnam der Äbtissin an einem bestimmten Fleck gefunden wurde, deute darauf hin, daß da ein Zusammenhang bestand?«
Fidelma war sich dessen bewußt, daß es riskant war, genau die Worte, die Schwester Buan angeblich mit angehört hatte, zu wiederholen. Schwester Sinnchénes Mienenspiel verriet, daß sie ihr etwas sagten. Sie machte einen verwirrten Eindruck und wußte augenscheinlich nicht, wie sie antworten sollte.
»Es sind genau die Worte, die in deinem Gespräch mit Bruder Cú Mara gefallen sind, nicht wahr?«
Wieder reagierte Sinnchéne mit ihrer Trotzhaltung und schob das Kinn vor.
»Ich werde nichts bestätigen oder leugnen, ehe ich nicht mit Bruder Cú Mara gesprochen habe«, erklärte sie mißmutig.
»Demnach kann ich daraus schließen, daß der Wortwechsel korrekt wiedergegeben wurde?« fragte Fidelma siegessicher.
»Ich glaube nicht, daß das in irgendeiner Weise Aufschluß gibt über Cináeds Tod«, erwiderte Schwester Sinnchéne entschieden.
»Aber du glaubst, daß irgend etwas, das Cináed vielleicht Faife anvertraut hat, mit ihrem Tod zu tun haben könnte. Weshalb?«
|186| »Ich habe dir alles gesagt, was ich sagen kann, Schwester. Ich muß mit Bruder Cú
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