Tod vor der Morgenmesse
hinter Conrí geschlossen hatte.
»Das scheint mir auch so«, erwiderte Fidelma ernst, doch um ihre Mundwinkel zuckte ein Lächeln.
Er stutzte. »Wolltest du ihn absichtlich vergraulen?«
»Eadulf, ich muß mit gewissen Leuten reden, und es ist nicht gut, wenn Conrí dabei ist, schon gar nicht, wenn sich herausstellt, daß ein paar von den Uí Fidgente wieder den Aufstand proben.«
|197| »Dabei hast du mehr als einmal betont, daß Conrí auf unserer Seite steht«, wandte er ein.
»Meinst du nicht auch, daß er sich selbst in Gefahr bringt, wenn sich bewahrheitet, was ich vermute? Ich will ihn lieber aus allem heraushalten, bis ich Genaueres weiß.«
Sie stand auf und ging zur Tür.
»Und wohin willst du jetzt?« erkundigte sich Eadulf verdrossen, während er ihr folgte.
»Wir werden uns noch mal mit der Heilkundigen, mit Schwester Uallann, unterhalten.«
Gerade als sie an der Bibliothek vorbeikamen, stürzte ein Novize mit zerzaustem Haarschopf heraus; er atmete stoßweise und zwischen Schluchzern. Fast hätte er Eadulf umgerannt, doch der packte ihn am Arm.
»Du hast es aber eilig, Bruder …«, begann er.
Erschrocken blickte der junge Mann auf, der in seiner Hast den Kopf gesenkt hielt. Es war der Bibliotheksgehilfe, Bruder Faolchair. Er schien völlig durcheinander.
»Tut mir leid. Ich … ich …«, stammelte er und war unfähig, sich verständlich zu machen.
Fidelma blickte ihn freundlich und aufmunternd an. »Wes halb diese Aufregung?«
Mit aufgerissenen Augen starrte er sie an. »Meine Arbeit, Schwester. Meine ganze Arbeit ist hin«, jammerte er verzweifelt.
»Deine Arbeit?«
»Ich war eben in der Bibliothek, all meine Abschriften sind weg, sind vernichtet, auch das Buch, das ich gerade abschrieb …«
Reglos vor Schreck stand Fidelma da. »Du warst beim Abschreiben eines Buches vom Ehrwürdigen Cináed, nicht wahr?« erkundigte sie sich sachlich.
|198| Der Bursche nickte. »Ja. Das Buch ist weg. Ich hab die Regale durchgesehen, ob es jemand zurückgestellt hat. Wie, weiß ich nicht, aber alle Handschriften des Ehrwürdigen Cináed sind von den Bücherborden verschwunden. Schwester, sie sind alle verbrannt.«
Fidelma schaute Eadulf an und dann wieder den jungen Mann.
»Alle Bücher, sagst du? Verbrannt? Wie kommst du darauf?«
»Mir ist aufgefallen, daß die Feuerstelle ganz schwarz war und qualmte, und das hat mich neugierig gemacht. Man sah noch den Rest der Handschriften, wie sie jemand auf die Glut gelegt hatte. Alle sind vernichtet, bis auf ein paar lose Blätter.«
»Die gesamten Bücher des Ehrwürdigen Cináed?« wiederholte Eadulf. »Andere Bücher waren nicht darunter?«
»Nein, wirklich nur die vom Ehrwürdigen Cináed. Alles, was wir von ihm in der Bibliothek hatten«, bestätigte der Novize. »Bin zu Bruder Eolas unterwegs, muß ihm das melden.«
»War sonst niemand in der Bibliothek?«
»Die Bibliothek war geschlossen wegen des Nachmittagsgebets im Oratorium. Bruder Eolas und ich müssen immer daran teilnehmen. Ich war gerade erst wieder in die Bibliothek gegangen.«
»Bist du dir ganz sicher, daß keine anderen Werke vernichtet wurden, eben nur die vom Ehrwürdigen Cináed?«
Der Bursche schaute bekümmert drein.
»Einzig und allein die von ihm. Jetzt gibt es in unserer Bibliothek kein einziges Werk mehr vom Ehrwürdigen Cináed. Es ist ein gräßliches Unglück. Wir werden Abschriften in anderen Abteien suchen müssen, und selbst dann können wir nicht alles ersetzen. Einige Handschriften waren Unikate, die gab es nur hier.« Er hielt inne.
|199| »Bis auf?« suggerierte ihm Fidelma.
»Nichts Wichtiges. Bloß ein paar Notizen, die er sich gemacht und versehentlich in eine Abschrift des
Uraicecht Bec
gelegt hatte. Er muß sie vergessen haben, als er den Kodex zurückbrachte. Ich habe das erst vorgestern früh entdeckt.«
Fidelma überlegte. Das
Uraicecht Bec
war ein Gesetzeskommentar über die Rechte der Frauen, der Bríg Briugaid, einer berühmten Richterin, zugeschrieben wurde. Sie erinnerte sich, daß sie Schwester Buan versprochen hatte, sich über die Rechtslage einer Witwe kundig zu machen.
»Ich würde später mal gern diese Notizen durchgehen«, sagte sie und sah den immer noch tief betrübten Novizen freundlich an. »Fürs erste laß uns aber die Bibliothek in Augenschein nehmen. Bruder Eolas kannst du nachher aufsuchen. Brauchst keine Angst zu haben, dir werden unseretwegen keine Unannehmlichkeiten entstehen.«
Der Bibliothekar führte Fidelma und
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