Tod vor der Morgenmesse
aufgefordert wurde, seinen Leichnam zu untersuchen, und darüber hast du mich bereits befragt.«
Die Heilkundige wurde zunehmend ungeduldig. Da erklang die Glocke vom Refektorium der Abtei.
»Man ruft zur Abendmahlzeit«, stellte Schwester Uallann erleichtert fest.
Fidelma lächelte kalt. »Das Gespräch mit dir war sehr hilfreich, Schwester«, bemerkte sie mit sarkastischem Unterton. »Danke, daß du uns deine Zeit geopfert hast.«
Mit Eadulf im Schlepptau verließ sie den Apothekenraum. Schwester Uallann schaute ihr verstimmt nach.
Draußen holte Fidelma tief Luft. Besorgt stellte sie fest, daß es bald dunkel würde.
»Tut mir leid, Eadulf, eine Sache muß noch erledigt werden. Nur kannst du mir dabei nicht helfen. Es betrifft die Gesetzessammlungen in der Bibliothek, ich will da noch etwas nachsehen.«
Sie ließ Eadulf allein, ging zum Gästehaus und weiter zur Bibliothek. Von Bruder Eolas war keine Spur, doch der junge Bruder Faolchair war damit beschäftigt, den kläglichen Rest von Cináeds Büchern und Asche vom Kaminrost zu kehren.
Fidelma begrüßte ihn mit verständnisvollen Worten.
»Bruder Eolas ist fuchsteufelswild«, lamentierte der Novize.
»Du hast ihm hoffentlich gesagt, daß wir bezüglich des Täters die Nachforschung übernehmen?«
Bruder Faolchair stellte den Besen beiseite. »Gerade das schien ihn noch wütender zu machen. Er würde seine eigenen Nachforschungen anstellen, hat er gesagt. Er hat sich zu Bett begeben, und mir hat er aufgetragen, die Bibliothek sauberzumachen und die Bücher von den Rußspuren zu befreien.«
»Ich werde dir eine Weile Gesellschaft leisten, wenn’s recht |206| ist. Ich muß etwas in einem Gesetzbuch nachschlagen – im
Cáin Lánamna,
das habt ihr doch.«
»Haben wir, natürlich.« Der Bursche überlegte. »Wolltest du nicht Cináeds Notizen sehen? Es sind aber nur ein paar Sätze über Rechtsfragen.«
»Das hätte ich beinahe vergessen. Die Notizen lagen in einer anderen Handschrift, war’s nicht so? Im
Uraicecht Bec
?«
Im Nu hatte ihr der junge Bibliothekar die beiden Bände gebracht und das Einzelblatt mit den Notizen. Fidelma schaute auf die hingekritzelten Worte und stellte verwundert fest, daß Cináed Sätze über die Rechtslage einer Frau abgeschrieben hatte, die in den Gesetzestexten als
banchormarbae
– die Erbin – bezeichnet wurde. Es handelte sich um einen Auszug aus dem
Uraicecht Bec,
in dem es hieß, dem Gesetz nach könne eine Frau Anspruch auf die Herrschaft über einen Stamm erheben, wenn es keinen geeigneten wählbaren männlichen Erben gibt. Fidelma wußte, daß in der Geschichte der fünf Königreiche nur eine einzige Frau auf den Sitz des Hochkönigs gelangt war. Viele Jahrhunderte war es her, daß Macha mit den Roten Flechten als sechsundsiebzigster Herrscher in Tara regiert hatte. Jedenfalls verkündeten es so die Sänger der Heldenlieder. Selbstverständlich hatte es hier und da Kleinkönige oder Clan-Anführer gegeben, die Frauen gewesen waren, doch im allgemeinen bevorzugten die
derbhfine,
die Wahlberechtigten der Sippen, einen männlichen Kandidaten. Es galt sogar als Armutszeugnis für einen Familienverband, wenn sich aus der jeweiligen Generation der Männer keiner fand, der geeignet war, den Stamm zu führen. Es mußte schon eine besonders willensstarke Frau sein, die eine solche Stellung errang. Fidelma fragte sich, warum Cináed sich gerade für diesen Aspekt interessiert hatte. Freilich, einem Gelehrten stand es zu, sich mit verschiedensten Themen zu befassen.
|207| Sie nahm sich den
Cáin Lánamna
vor und wurde bald fündig. Der Band enthielt die wesentlichsten Regelungen für die Eheschließung und die im Heiratsgesetz verbürgten Rechte der Frauen. Sie prägte sich ein paar der Kernsätze ein und wollte Bruder Faolchair die Bände zurückbringen. Der Hilfsbibliothekar hockte erschöpft mit geschlossenen Augen in einer Ecke, spürte aber sofort ihre Nähe und schreckte schuldbewußt hoch.
»Ich an deiner Stelle würde die Bibliothek für heute schließen. Ruh dich erst einmal aus, den Rest schaffst du morgen früh.«
Der junge Bursche nickte bedächtig.
»Ich bin völlig fertig, Schwester Fidelma«, gestand er ihr.
Sie wollte schon den Büchersaal verlassen, überlegte es sich aber plötzlich anders und sagte ohne Überleitung: »Ich habe den Eindruck, in diesem
conhospitiae
sähen es viele lieber, wenn Männer und Frauen in getrennten Klöstern lebten.«
»Ja, es gibt durchaus welche, die gegen die
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