Tod vor der Morgenmesse
eindeutig im Wasser gelegen. Könnte mir denken, daß sie jemand vom Schiffswrack hergeschleppt hat.« Dann sah sie die Markierungen auf den Behältnissen. »In den meisten ist Öl und Wein aus Gallien. Aber seht mal diese hier.«
Die anderen traten näher heran und schauten ihr über die Schulter. Eine der Kisten hatte man aufgebrochen.
»Gold!« rief Eadulf.
»Gold, ganz recht, aber nicht das Gold, wie es bei uns vorkommt, dafür ist es zu blaß«, stellte Conrí fest. »Unser Gold hat einen rötlichen Schimmer.«
Mit zur Seite geneigtem Kopf ließ Fidelma den Blick über das gehortete Gut gleiten.
»Kommt!« sagte sie schließlich. »Gehen wir. Wollen mal sehen, was die Insel noch an Geheimnissen preisgibt.«
Sie verließen die runde Burganlage und gingen über die begrünte Bergkuppe. Dank der Ebbe konnten sie weite Strecken des steinigen Ufergestades sehen; das südliche Ende aber gab die Sicht auf Felsen frei, die auf dem Grund des Wassers lagen. Auch konnten sie die verrotteten Planken eines Schiffsrumpfes ausmachen, der aus dem Wasser lugte. Es war eindeutig ein Handelsschiff, hatte aber die Felsen so hart gerammt, daß seine Maste gebrochen und die Planken geborsten waren. Nur das Heck schien noch in Takt, aber selbst das brach unter der Wucht der Winterstürme auseinander.
Dann stieg ihnen ein Geruch in die Nase. Zwischen dem stachligen Gebüsch, das die Ufer säumte, lagen verwesende Leichen. Sie mußten schon länger dort gelegen und Aasfressern |262| ein Festmahl bereitet haben. Krampfhaft bemüht, sich ihren Ekel nicht anmerken zu lassen, ging Fidelma an einen Leichnam näher heran und inspizierte das, was noch an Kleidung übrig war.
»Seeleute, Männer aus der Fremde«, murmelte sie. »Ir gendwo habe ich diese Art Kleidung schon mal gesehen.«
Eadulf hatte eine Antwort parat.
»Bei meiner Rückkehr aus Rom bin ich auf einem gallischen Kauffahrteischiff gereist, und die Mannschaft war ähnlich gekleidet.«
»Gallisch? Mugrón sprach davon, daß der Stiefel, den sie fanden, einem Seemann aus Gallien gehört haben muß. Das würde nun Sinn machen.«
»Die Ärmsten, so dicht am rettenden Strand und sind doch ertrunken«, murmelte Conrí.
»Seht mal hier!« Fidelma deutete auf eine der Leichen.
Conrí hielt sich die Hand vor den Mund, um den Gestank etwas abzuwehren, und Eadulf, unmittelbar hinter ihm, vergrub die Nase in Conrís Schulter.
»Der hier ist nicht ertrunken. Dem steckt noch eine abgebrochene Schwertklinge in den Rippen.«
Eadulf war entgeistert.
»Du glaubst, die haben es noch ans Ufer geschafft und wurden erst hier niedergemetzelt?«
»Der Übeltäter, der diesen Mann auf dem Gewissen hat, muß ihm das Schwert tief in den Leib gejagt haben. Die Klinge war schlecht geschmiedet, sonst wäre sie beim Versuch, sie wieder rauszuziehen, nicht gebrochen. Mit der Schwertspitze in dem verwesenden Fleisch haben wir einen stummen Zeugen des Verbrechens«, stellte Fidelma bitter fest.
Eadulf zeigte auf einen weiteren, auf dem Rücken liegenden Leichnam.
|263| »Bei dem hier scheint der Schädel zerschmettert zu sein. Kann auf dem Wrack oder zwischen den Felsen passiert sein.«
»Wie soll der Mann es in dem Zustand bis hoch auf den Strand geschafft haben?« gab Fidelma zu bedenken und schüttelte den Kopf. »Nein, was wir hier sehen, ist durchweg grauenvoller Mord. Entweder hat man das Schiff vorsätzlich zum Kentern gebracht, oder man hat hier am Ufer gestanden, zugeschaut und abgewartet, um dann schließlich die Überlebenden abzuschlachten.«
Der sonst so schweigsame Krieger Socht, der aufmerksam die Fahrrinne zwischen der Inselspitze und dem südlichen Ufer abgeschätzt hatte, kam zu einem bemerkenswerten Schluß. »Hier zu stranden, selbst bei Dunkelheit, dazu gehört schon was; das bringt nur ein schlechter Seemann zuwege, und selbst der müßte noch vom Pech verfolgt sein.«
»Wäre es vorstellbar, daß die Äbtissin Faife mit ihren Nonnen hier vorbeikam, als das Verbrechen geschah? Daß sie sahen, was vor sich ging, und mundtot gemacht werden mußten?« überlegte Conrí.
»Angenommen, es war so«, meinte Eadulf, »dann bleiben für mich trotzdem einige Fragen offen.«
Neugierig blickten ihn die anderen an.
»Wenn man die Sache allen Ernstes geheimhalten wollte, warum läßt man Äbtissin Faife so nahe am Ort des Geschehens liegen, unmittelbar am Wegesrand, wo Mugrón sie kurz darauf fand? Warum dann all die Leichen, verstreut auf der Insel oder ringsum im Wasser? Warum
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