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Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman

Titel: Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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die Arme. »Warum, Sarge?«
    »Du bist ein cleverer Junge, van Heerden. Ich hab dich beobachtet. Du bist nicht so wie die anderen.«
    Er zündete sich eine Zigarette an, ohne Filter, stark riechender Tabak, und überprüfte die Temperatur seines Kaffees, indem
     er vorsichtig daran nippte. »Ich hab mir deine Dienstakte angesehen. Du warst der Beste im College. Du liest. Du siehst dir
     die Scheiße in den Zellen an und siehst die Leute und machst dir darüber Gedanken und stellst dir Fragen.«
    Ich war erstaunt.
    Er ließ den Zigarettenrauch durch die Nasenflügel kräuseln, fasste in seine Hemdtasche und zog ein verknittertes Papier heraus,
     faltete es auseinander und reichte es mir über den Tisch. Es war eine Seite aus der Polizeizeitschrift
Servamus
.
     
    Verleihen Sie Ihrer Karriere neuen Schwung!
     
    Absolvieren Sie den BA-Studiengang in
    Polizeiwissenschaft an der UNISA
     
    Seit 1972 bieten SAPS und UNISA einen Universitätsabschluss an, der gezielt darauf ausgerichtet ist, Ihre Arbeit vor Ort durch
     einen akademischen Abschluss |212| professioneller zu gestalten. Es handelt sich dabei um einen speziellen dreijährigen Studiengang mit Polizeiwissenschaft als
     Hauptpflichtfach — und
einem
der folgenden Fächer als zweitem Hauptfach: Kriminologie, öffentliche Verwaltung, Psychologie, Soziologie, Politikwissenschaft
     und Kommunikationswissenschaft.
     
    Es folgten eine Adresse und eine Telefonnummer.
    Ich sah, nachdem ich die Anzeige gelesen hatte, zu Sergeant Feuerlocke van Vuuren, zu seinem roten Haar, das er an einer Seite
     lang wachsen ließ, damit er die Strähnen über die sich unaufhörlich ausweitende kahle Stelle kämmen konnte.
    »Du musst das tun«, sagte er inmitten eines weiteren Mund voll Rauchs. »Diese armseligen Prüfungen«, und damit zeigte er auf
     meine ursprüngliche Lektüre, »sind für Polizisten wie Broodryk. Und seinesgleichen.«
    Dann stand er auf, drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, nahm seinen Kaffee und ging. »Danke, Sarge«, rief ich hinterher,
     aber ich weiß nicht, ob er mich gehört hatte.
    Im Lauf der Jahre dachte ich oft an diesen Augenblick in der Teeküche der Sunnyside-Dienststelle. An Thomas van Vuuren und
     sein rätselhaftes Interesse und seine Ermunterung. »Broodryk«, den er erwähnt hatte, war in der Sprache der alten Hasen ein
     Adjutant, ein großer, schroffer, ehrgeiziger Mann, der später als einer der Skrupellosesten, die damals in Vlakplaas dabei
     waren, fragwürdige Berühmtheit erlangte und der bereits in Sunnyside seine Bereitschaft gezeigt hatte, Verhaftete körperlich
     zu misshandeln.
    Van Vuuren machte keinerlei Anstalten mehr, mit mir zu |213| reden. Ein- oder zweimal wollte ich Kontakt mit ihm aufnehmen, nachdem ich mich in den Studiengang eingeschrieben hatte, doch
     er hatte sich hinter seine Festung der Abgestumpftheit zurückgezogen, als hätte unser Gespräch niemals stattgefunden. Was
     ihn dazu motiviert hatte, sich meine Dienstakte zu beschaffen (höchstwahrscheinlich ohne Genehmigung), die Seite aus der Zeitschrift
     herauszureißen und sie mir zu geben, werde ich nie erfahren.
    Ich kann nur Spekulationen anstellen. Die Wahrheit lag vielleicht in dem Unterschied begründet, den er zwischen Broodryk und
     mir erkannt hatte. War es van Vuurens Schwäche, dass er Kriminelle als Menschen sah? Verbarg sich hinter seiner körperlichen
     Ungestalt eine Sensibilität, die er mit Brandy abtöten musste, um seine alltäglichen Aufgaben ertragen zu können?
    Er starb ein oder zwei Jahre später an einem Herzinfarkt, allein zu Hause. Seine Beerdigung war eine kleine, traurige Angelegenheit.
     Ein Sohn nahm daran teil, das einzige Familienmitglied am Grab, seine Miene war gefasst, er schien erleichtert zu sein, wie
     ich wahrzunehmen glaubte. Und seine Kollegen ergingen sich in den üblichen Weisheiten, »es war der Schnaps«, und dazu schüttelten
     sie den Kopf.
    Am Abend nach meinem ersten Abschluss sprach ich leise einen Toast auf ihn aus. Denn er hatte mir zwei Dinge geschenkt: Eine
     Richtung. Und Selbstachtung. Ich weiß, es klingt melodramatisch, aber will man überzeugen, muss man anschauliche Vergleiche
     ziehen, so ähnlich wie bei den kitschigen Anzeigen für Diätprogramme mit »Vorher«- und »Nachher«-Fotos (auch wenn diese oft
     genug retuschiert sind). Nach zwei Jahren in Sunnyside befand ich mich direkt |214| auf dem Weg ins Nichts, ich war frustriert, unmotiviert, war, was meinen Beruf anging, ins Trudeln geraten

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