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Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman

Titel: Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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und wollte nicht
     zugeben, dass ich bei meiner Berufswahl einen Fehler begangen hatte. Mehr als in jedem anderen Beruf schafft man es als Polizist,
     dass einem die Sinne abstumpfen; es geschieht durch endlose Routine und die Art der Arbeit, man ist unablässig dem Bodensatz
     der Gesellschaft ausgesetzt, dem Abschaum, den Perversen, den sozial und wirtschaftlich Benachteiligten und manchmal auch
     nur den schlichtweg Bösartigen.
    Thomas van Vuuren hatte mir in diesem Labyrinth eine Tür geöffnet.
    Und je größer meine akademischen Erfolge wurden, umso systematischer übernahmen die Motivation und Konzentration die Rolle
     eines
deus ex machina,
der mich immer wieder aus dem beruflichen Treibsand zog. Ich begann mich zu mögen.
    Oh, die Psychologie des positiven Feedbacks.
    »Ihre Aufsätze zeigen einzigartige sprachliche und didaktische Befähigung. Es ist eine Freude, sie zu lesen.«
    »Ihre Einsicht in das Thema ist beeindruckend und beträchtlich über dem Niveau, das im Grundstudium erwartet wird. Gratulation.«
    Was die Dozenten nicht sahen und ich nur auf einer unbewussten Ebene wahrnahm, war, dass das Studium für mich einen Rettungsanker
     darstellte. Ich lernte in jeder freien Minute, las mehr als notwendig, analysierte. Ich wählte Polizeiwissenschaft, Kriminologie
     und Psychologie als Hauptfächer und war nicht bereit, eines der drei aufzugeben. Jedes Jahr bestand ich in allen drei Fächern
     mit Auszeichnung |215| (was mich sehr befriedigte). Ich wurde befördert, auch wenn die Beförderung auf mein absolviertes Sergeant-Examen zurückzuführen
     war, und zur Dienststelle in Pretoria versetzt. Die drei Streifen bedeuteten mir reichlich wenig. Ich verfolgte sehr viel
     höhere Ideale.
    Meine Mutter war überaus glücklich, dass ihr Sohn endlich ein Ziel gefunden hatte, dass ich endlich eine »Ausbildung« erwarb.

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    |217| Sonntag, 9. Juli
Noch vier Tage
    |219| 23
    Um sieben Uhr morgens klopfte sie an seine Tür. Als er mit zerzaustem Haar und schlaftrunkenen Augen öffnete, trat sie aus
     der Dunkelheit, der rote Fleck auf ihrer Wange leuchtete, Folge ihres Schlafmangels und ihrer Wut, der Machtlosigkeit, weil
     sie ihn nicht verstand.
    Sie lehnte mit dem Rücken an der grauen Wand, während er an der noch immer offenen Tür verharrte. »Schließen Sie die Tür«,
     sagte sie. »Es ist kalt.«
    Er seufzte, schloss die Tür, ging zum Sessel und setzte sich. »Sie sind meine Auftraggeberin, Hope. Sie können mich jederzeit
     entlassen. Sie haben das Recht dazu.«
    »Warum sind Sie auf ihn losgegangen, van Heerden?«
    »Weil ich es so gewollt habe.«
    Sie senkte das Kinn. Langsam, schweigend, schüttelte sie den Kopf.
    Schweigen legte sich über den Raum.
    »Wollen Sie Kaffee?«, fragte er ohne Anflug von Gastfreundschaft.
    Ihr Kopf bewegte sich noch immer von der einen zur anderen Seite, sie blickte auf ihre Joggingschuhe, suchte nach Worten.
     »Nein, ich will keinen Kaffee. Ich will Antworten.«
    Er sagte nichts.
    »Ich versuche es zu verstehen, van Heerden. Seitdem Sie mich letzte Nacht mit dem blutüberströmten Mann neben |220| dem Tisch haben sitzen lassen und einfach gegangen und davongefahren sind, versuche ich zu verstehen, was in Ihrem Kopf vorgeht.
     Sie waren …«
    »Sind Sie deswegen so wütend? Weil ich Sie habe sitzen lassen?«
    Sie hob den Kopf, sah ihn an und brachte ihn mit ihrem Blick zum Schweigen. Als sie wieder das Wort ergriff, klang ihre Stimme
     noch weicher. »Sie waren einmal ein Gesetzeshüter, van Heerden. Und nach allem, was man hört, ein ziemlich guter. In den vergangenen
     Tagen hatte ich ausgiebig Gelegenheit, mir ein Bild von Ihnen zu machen. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Sie ein intelligenter
     Mensch sind, jemand, der Kausalzusammenhänge versteht. Der das intellektuelle Vermögen besitzt, um zu erkennen, dass Handlungen
     und deren Folgen nicht getrennt voneinander betrachtet werden können und sich nicht nur auf die unmittelbar Beteiligten beschränken.
     Darum geht es doch in unserem Rechtssystem, van Heerden. Die Gesellschaft vor den weiter reichenden Folgen zu schützen. Denn
     es gibt immer weiter reichende Folgen.«
    »Sind Sie gekommen, um mich zu feuern, Hope?«
    Sie zögerte keinen Augenblick, ließ sich von ihrem Kurs nicht abbringen.
    »Was ich nicht verstehen kann, van Heerden, ist, dass Sie sich selbst das Recht einräumen, jemanden zu verprügeln, Ihre infantile
     Wut an einer schutzlosen Person abzureagieren, ohne auch nur einen

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