Todes Kuss
an den Tag als bei der Auswahl ihres Kleides.“
„Mr Palmer, das ist sehr unhöflich“, tadelte ich ihn.
Doch er verspürte kein schlechtes Gewissen, sondern bat mich nur, ihn mit dem Vornamen anzusprechen. „Ich möchte nämlich nicht ständig an meine gesellschaftliche Stellung erinnert werden.“
„Gut, Andrew“, gab ich zurück. „Sie können mich weiter Lady Ashton nennen, denn ich mag es, wenn man meine gesellschaftliche Stellung nicht vergisst.“
Schockiert schaute er mich an.
„Das“, erklärte ich, „war nur ein Scherz.“
Und schon wieder begannen wir herzhaft zu lachen.
Ich genoss den Nachmittag sehr und kehrte bester Laune ins Hotel zurück. Allerdings fror ich ein wenig, denn die Luft hatte sich zum Abend hin rasch abgekühlt. Da Meg ihren freien Nachmittag hatte, bat ich an der Rezeption darum, jemanden in meine Suite zu schicken, um das Feuer im Kamin zu entzünden.
Man reichte mir dabei mehrere Briefe, darunter auch ein Schreiben von Colin, das ich voller Ungeduld aufriss, noch ehe ich mein Zimmer erreichte. Er teilte mir mit, dass er im Begriff war, Paris zu verlassen. Mein Herz schien zu stolpern. Doch ich achtete nicht weiter darauf. Entschlossen schob ich den Brief in mein Retikül und holte anschließend aus diesem meinen Zimmerschlüssel.
Dann bemerkte ich, dass die Tür gar nicht geschlossen war.
17. Mai 1887, Berkeley Square, London
Hätte nie gedacht, dass ich gegenüber einem Drachen, wie Lady Bromley einer ist, jemals so etwas wie Dankbarkeit empfinden würde. Tue es aber doch, weil sie mir heute beim Dinner den Platz neben ihrer Tochter zugewiesen hatte. War angenehm überrascht von Lady Emilys rascher Auffassungsgabe. Werde ihr gleich morgen einen Besuch abstatten.
Habe in Leightons Laden ein wunderschönes griechisches Gefäß aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. entdeckt. Fournier war ebenfalls daran interessiert, aber sein Vermögen reichte nicht aus, mich zu überbieten. Um ihn zusätzlich zu ärgern – er würde sich nie auch nur von einem einzigen Stück seiner Sammlung trennen –, sagte ich Leighton, er solle den Kelchkrater direkt ans British Museum schicken.
9. KAPITEL
Bis an mein Lebensende werde ich nicht vergessen, wie entsetzt ich über das war, was ich sah, als ich die Tür zu meiner Suite aufstieß.
Nichts befand sich mehr an seinem Platz. Möbel waren umgeworfen. Bücher, deren Seiten man zum Teil herausgerissen hatte, lagen auf dem Boden. Den Inhalt der Kommodenschubladen hatte irgendwer einfach ausgekippt. Meine Malutensilien waren überall verstreut. Das wunderschöne „Porträt von Kallista“, das Renoir mir geschenkt hatte, war aus dem Rahmen geschnitten, aber glücklicherweise nicht weiter beschädigt worden.
Während ich wie erstarrt stand und das Chaos schockiert betrachtete, erschien hinter mir der Hoteldiener, der das Feuer anzünden sollte. Er warf einen Blick auf die Szene, griff nach meiner Hand und zog mich zu dem Sessel, der erstaunlicherweise noch aufrecht stand.
„Bitte, setzen Sie sich, Lady Ashton. Ich hole Hilfe.“
Es dauerte nicht lange, bis Monsieur Beaulieu, der Manager des Hotels, eintrat und mir ein Fläschchen Riechsalz hinhielt. Da ich niemals in Ohnmacht falle, schob ich es einfach fort. Das Glas Armagnac, das Beaulieu mir daraufhin anbot, lehnte ich allerdings nicht ab. Ich hatte es kaum geleert, als die Polizei kam.
Nie zuvor war ich so froh darüber gewesen, dass die Angestellten vom Meurice fließend Englisch sprachen. Im Allgemeinen ist mein Französisch gut. Doch vor lauter Aufregung konnte ich mich kaum in meiner Muttersprache verständigen.
Gerade hatte ich der Polizei die wichtigsten Fragen beantwortet, als Andrew Palmer in den Raum stürmte. „Was, um Himmels willen, ist passiert? In der Empfangshalle reden alle von einem Überfall. Emily, Sie sind doch hoffentlich nicht verletzt?“
„Es war ein Einbruch“, erwiderte ich. „Mir ist nichts geschehen.“
„Was ist gestohlen worden?“
„Ich hatte noch keine Gelegenheit, das zu überprüfen.“
„Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“
„Im Moment gar nicht. Monsieur Beaulieu hat sich bereits um alles gekümmert.“
„Das ist das Mindeste, was er tun kann. So etwas dürfte in einem Hotel nicht geschehen! Wie ist es dem Dieb gelungen, in Ihre Suite einzudringen?“
Da die Polizisten sich in mein Schlafgemach zurückgezogen hatten, war es Beaulieu, der sagte: „Das Schloss wurde aufgebrochen. Daran trifft meine Mitarbeiter allerdings nicht die
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