Todes Kuss
geringste Schuld. Die Empfangshalle ist den ganzen Tag über besetzt gewesen. Es ist mir unerklärlich, wie jemand das Hotel unbemerkt betreten und in Lady Ashtons Räume einbrechen konnte.“
„Machen Sie sich keine Vorwürfe, Monsieur“, mischte ich mich ein. „Ich bin sicher, dass weder Sie noch einer Ihrer Angestellten einen Fehler begangen hat.“ Dann wandte ich mich Andrew zu: „Würden Sie, bitte, Robert Brandon und Ivy benachrichtigen?“
„Sind sie denn noch in der Stadt?“
„Ja, sie wollen erst morgen früh in Richtung Italien aufbrechen.“
„Ich wünschte, die beiden würden nach London zurückkehren. Dann könnten Sie sich ihnen anschließen. Sie sollten wirklich nicht länger hierbleiben, Emily.“
Er war fort, ehe ich etwas darauf erwidern konnte.
Als er in Begleitung von Ivy und Robert zurückkam, hatte ich mich davon überzeugt, dass nichts gestohlen worden war. Nach Meinung der Polizisten ließ dies nur einen Schluss zu: Der Einbrecher war gestört worden.
„Wenn er bei Ihrer Rückkehr ins Hotel noch hier gewesen wäre“, stellte Robert fest, „hätte er Ihnen womöglich etwas angetan, Emily. Sie sollten wirklich nach Hause fahren.“
„Ich sehe keinen Grund dafür“, erklärte ich trotzig.
„Womöglich kehrt der Einbrecher noch einmal zurück“, bemerkte Ivy mit einem nicht zu überhörenden Zittern in ihrer Stimme.
„Da er nicht gefunden hat, was er suchte, ist das sehr gut möglich“, pflichtete Andrew ihr bei. „Diese Geschichte beunruhigt mich. Wenn es dem Dieb um Geld oder Wertgegenstände gegangen wäre, hätte er bestimmt das eine oder andere mitgenommen, selbst wenn er gestört wurde. Da nichts fehlt, muss er nach etwas Bestimmtem gesucht haben.“
„Wenn Sie sich zum Bleiben entschließen, Lady Ashton, kann ich Ihnen eine andere Suite überlassen“, sagte Monsieur Beaulieu.
„Bitte, Emily, bleib nicht hier!“ Ivy schaute mich flehend an. „Ich würde mir solche Sorgen um dich machen!“
Ich wurde immer unsicherer, wie ich mich entscheiden sollte. „Was mich am meisten verwirrt“, sagte ich, „ist die Tatsache, dass der Einbrecher Renoirs Gemälde nicht mitgenommen hat, obwohl er Zeit genug hatte, es sorgfältig aus dem Rahmen zu lösen.“
Einer der Polizisten, ein älterer Mann, betrachtete das Bild mit gerunzelter Stirn. „Vielleicht ist so etwas … Modernes nicht nach seinem Geschmack.“
Da die Polizei ihre Untersuchung abgeschlossen hatte, begannen zwei Hoteldiener damit, meine Suite aufzuräumen. Meg, deren freier Tag ein abruptes Ende genommen hatte, beobachtete die beiden mit Adleraugen, damit sie nur ja nichts falsch machten. Der Vorfall hatte meine Zofe in ihrer schlechten Meinung über die Franzosen natürlich bestätigt.
Robert und Ivy boten mir an, ihre Italienreise zu verschieben und mir Gesellschaft zu leisten. Ich dankte ihnen von Herzen, beschloss aber, lieber eine Nachricht an Cécile zu senden. Diese schickte mir sogleich ihre Kutsche, damit ich die Nacht bei ihr verbringen konnte.
Wie sich herausstellte, hatte sie Margaret zum Dinner eingeladen. Die beiden empfingen mich sehr besorgt.
„ Mon dieu! “, rief Cécile. „Welch eine Aufregung! Nur gut, dass Sie Ihren Schmuck stets im Hotelsafe aufbewahren, Kallista!“
„Es ist überhaupt nichts gestohlen worden“, berichtete ich. „Das erscheint mir wirklich merkwürdig.“
„Der Einbrecher muss ein Dummkopf sein. Sonst hätte er wenigstens den Renoir mitgenommen. Sicher, die Impressionisten erzielen für ihre Werke keine hohen Preise. Trotzdem hätte er problemlos einen Käufer für das Porträt finden können.“
Ich seufzte tief. „Ich bin froh, dass das Bild mir geblieben ist. Meine Skizzenbücher sind übrigens total zerstört. Ihre Bücher, Margaret, sind leider auch beschädigt, allerdings nicht so stark, dass man sie nicht mehr lesen könnte.“
„Machen Sie sich deshalb keine Gedanken.“ Meine amerikanische Freundin legte mir tröstend die Hand auf den Arm.
„Ich habe der Polizei von dem Mann mit der Narbe berichtet, der mir von London nach Paris gefolgt ist. Man wird nach ihm suchen, weil er möglicherweise mit dem Einbruch in Verbindung steht.“
„Sie glauben, er ist Ihnen gefolgt, um Sie zu bestehlen? Wäre es aus der Sicht eines Diebes nicht klüger, Ihr Londoner Haus auszurauben, während Sie fort sind?“
„Vielleicht fürchtete er, die Dienstboten würden ihn erwischen.“
„Womöglich hat er sogar einen Verbündeten unter dem Personal.
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