Todes Kuss
wünschte ich, Cécile wäre hier, um sich mit uns an dem Anblick zu erfreuen. Dann bemerkte ich eine rundliche Frau, die aufgeregt darauf wartete, uns begrüßen zu können. Das musste die Haushälterin Mrs Henley sein. Es war an der Zeit, die Kutsche zu verlassen.
Mrs Henley begann sogleich, sich für den Zustand des Hauses zu entschuldigen.
„Es tut mir leid, dass ich Sie nicht eher von meinem Besuch unterrichtet habe“, versuchte ich, sie zu beruhigen. „Sie hatten wenig Zeit für die Vorbereitungen. Doch ich versichere Ihnen, dass ich mir lediglich einen ersten Eindruck von dem Besitz verschaffen möchte. Es geht keineswegs darum, Ihre Arbeit zu überprüfen.“
„Seine Lordschaft hat damals so viele Kisten herschicken lassen und uns befohlen, sie nicht zu öffnen. Emory hat sie in die Bibliothek gebracht. Es sieht schrecklich aus.“ Sie seufzte.
Ein Mann, der hinter ihr aufgetaucht war, trat einen Schritt nach vorn und verbeugte sich. „Mylady, ich bin Emory. Wir wussten nicht, was wir nach Lord Ashtons Tod mit diesen Kisten tun sollten. Da wir Sie in Ihrer Trauer nicht stören wollten, haben wir alles einfach stehen lassen.“
„Haben Sie eine Ahnung, was sie enthalten?“
„Nein, Madam. Sie trafen in den Monaten vor der Hochzeit Seiner Lordschaft ein. Deshalb dachten wir, es seien Haushalts- oder Einrichtungsgegenstände.“
Ivy, Margaret und ich tauschten einen Blick. „Bitte, führen Sie uns gleich in die Bibliothek.“
„Selbstverständlich, Mylady.“
„Soll ich Ihnen ein Teetablett fertig machen?“, fragte Mrs Henley. „Nach der langen Reise mit der Eisenbahn und der anschließenden Kutschfahrt können Sie bestimmt eine Erfrischung brauchen.“
„Ja, bitte, bringen Sie uns Tee und Gebäck“, antwortete ich.
Mit meinen Freundinnen folgte ich dem vorauseilenden Emory in die Bibliothek. Es war der größte Raum, den ich je gesehen hatte. Der Diener erklärte, hier befänden sich mehr als 30 000 Bücher. Doch nicht sie, sondern die Kisten, die mitten im Zimmer standen, zogen meinen Blick auf sich. Margaret allerdings trat sogleich an eines der Regale, um die in Leder gebundenen Bände in Augenschein zu nehmen.
„Sieh dir diese Stuckdecke an“, hauchte Ivy.
Tatsächlich waren die vergoldeten Motive aus der griechischen Mythologie überwältigend.
„Mir gefallen auch die Möbel“, stellte ich fest. „Dieses helle Holz hat eine sehr warme Ausstrahlung.“
„Trotzdem wird man im Winter beide Feuerstellen brauchen, um das Zimmer einigermaßen warm zu bekommen“, meinte Ivy. „Wie groß doch diese offenen Kamine sind!“
Im Augenblick brannte kein Feuer, und es war recht kühl im Raum. Ich verspürte das Bedürfnis, mich zu bewegen, um nicht zu frieren. „Beginnen wir mit dem Öffnen der Kisten“, sagte ich zu Emory. „Hoffentlich sind das nicht alles Jagdtrophäen.“
„Nein, Madam. Die kommen in bedeutend größeren Kisten an“, beruhigte mich der Diener.
„Vielleicht handelt es sich um Hochzeitsgeschenke“, überlegte Ivy.
Ich schüttelte den Kopf. „Das hätte Philip mir gegenüber bestimmt erwähnt.“ Ein Lächeln huschte über mein Gesicht, als mir einfiel, wie er mir in der Hochzeitsnacht eine kleine mit Samt ausgeschlagene Schachtel überreicht hatte. Wir hatten gerade zum ersten Mal getan, was man gemeinhin „die Ehe vollziehen“ nennt. Nun lag ich unter einer weichen Daunendecke, erschöpft und auch ein wenig erleichtert darüber, dass es keineswegs so unangenehm gewesen war, wie ich nach den Worten meiner Mutter befürchtet hatte. Ich öffnete das Geschenk und fand in dem Kästchen eine zierliche, in Gold gefasste Elfenbeinbrosche vor. Es war ein Schmuckstück, das genau meinem Geschmack entsprach.
„Mylady?“ Emory hielt eine kleine Statue der Göttin Aphrodite in die Höhe. „Das passt zur Sammlung seiner Lordschaft.“
„Ich möchte, dass alle antiken Stücke, die vielleicht noch auftauchen, erst einmal hierbleiben.“ Ich wies auf einen riesigen Tisch. „Sie sollten katalogisiert werden.“
„Wollen Sie vielleicht einen Rundgang durchs Haus unternehmen, während ich die anderen Kisten auspacke?“
„Das ist eine gute Idee“, rief Ivy. „Am besten läuten wir nach Mrs Henley.“
„Sie erscheint bestimmt gleich mit dem Teetablett. Ich würde gern etwas trinken, ehe wir uns herumführen lassen.“
Dieser Vorschlag fand sowohl Ivys als auch Margarets Zustimmung. So dauerte es noch eine Weile, bis wir uns schließlich aufmachten, um die
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