Todesacker
verloren, was die Handlung des Films betraf, doch ihm fiel auf, dass dieser anscheinend ausschließlich im Dunkeln gedreht worden war. In jeder Szene gab es lange Kameraeinstellungen, die nichts außer einer erleuchteten Tür oder einem erleuchteten Fenster in der Ferne und einem Tunnel der Dunkelheit zeigten, durch den eine der Figuren lief. Manchmal ging einer der Schauspieler auf die Kamera zu, manchmal von ihr weg. Doch immer durch die Dunkelheit. Er fragte sich, warum nie jemand das Licht einschaltete. Fürchteten sich die Figuren in dieser Geschichte denn gar nicht vor dem, was in den Schatten auf sie lauern mochte, wenn sie sich jenseits der erleuchteten Rechtecke bewegten?
Doch das war genau der Punkt, oder etwa nicht? Es drehte sich alles um mitempfundene Angst. Der Nervenkitzel bestand darin, dass man gebannt auf den Moment wartete, in dem eine der Figuren die Sicherheitszone verließ. Das war es, was ihn an den Bildschirm fesselte, seine Gedanken beanspruchte und ihn am Schlafen hinderte: zu beobachten, wie jemand in die Dunkelheit trat.
Als sein Telefon läutete, dachte er zunächst, das Klingeln käme aus dem Fernseher. Niemand rief ihn so spät an, es sei denn, er hatte schlechte Nachrichten. Als er abnahm, war er nicht überrascht, dass es Detective Inspector Hitchens war.
»Entschuldigen Sie die Störung, Ben, aber ich dachte mir, das sollten Sie wissen. Raymond Sutton hat versucht, sich in seinem Zimmer im Oaks-Pflegeheim zu erhängen.«
33
Mittwoch
F ry war bereits müde, als sie sich am nächsten Morgen an ihren Schreibtisch setzte. Sie musste für die Chefetage einen vollständigen Bericht über ihren Besuch bei der Garda Síochána verfassen, die Zusammenarbeit analysieren und angeben, ob sie irgendwelche nützlichen Kontakte geknüpft hatte. Fry wusste, dass jeder Bericht, der von ranghohen Vorgesetzten gelesen wurde, für jede negative Bemerkung zwei positive Bemerkungen enthalten sollte, um den richtigen Eindruck zu vermitteln. Drei waren auch gut. Vier waren dagegen zu viel des Guten – wenn man vier positive Bemerkungen anbrachte, klang das nach Sarkasmus.
In diesem Fall würden ein paar Stichpunkte genügen, um die Leser zufriedenzustellen. Sie wollten doch bestimmt nicht zu viel über Garda Lenaghan erfahren wollen, oder? Die Identifizierung von Orla Doyle sollte genügen, um ihre Neugier zu befriedigen.
Fry hatte inzwischen beide auf der Pity Wood Farm gefundenen Leichen identifiziert, auch wenn dabei eine ordentliche Portion Glück mit im Spiel gewesen war. Sie hoffte, dass ihre Bemühungen entsprechend honoriert werden würden. Es war nicht ihre Schuld, dass der Schädel nicht zu Orla Doyle gehörte. An diesem Morgen sprach jeder im Büro von Opfer C, was sie wirklich überhaupt nicht brauchen konnte.
Auf ihrem Schreibtisch fand sie die Kopie einer Akte vor. Sie enthielt Fotos, die so sehr außerhalb aller Proportionen waren, dass sie riesig und desorientierend wirkten. Die Mitarbeiter des Forensic Science Service hatten bei der Abnahme von Fingerabdrücken von Nadezda Halaks Hand wahre Wunder vollbracht, indem sie die abgelöste Haut so weit aufbereitet hatten, dass eine mögliche Übereinstimmung erkennbar gewesen wäre, falls ihre Abdrücke gespeichert waren. Es war sicher nicht einfach gewesen, den Überresten einer verwesten Hand einen identifizierbaren Fingerabdruck zu entlocken. Der gesamte Daumen fehlte, und die Hälfte des Zeige- und des Mittelfingers waren ebenfalls nicht mehr vorhanden. Die verbliebene Haut war bereits verwest und so brüchig, dass man sie in Alkohol hatte einweichen müssen, um sie zu festigen und ihr die Feuchtigkeit zu entziehen.
Aber unter zwanzigfacher Vergrößerung im Rasterelektronenmikroskop waren die Verletzungsspuren an den Handknochen sowie die Frakturen der Oberfläche, wo das Knorpelgewebe mit dem Handrücken verbunden gewesen war, gerade so zu erkennen. Unter hundertfacher Vergrößerung waren die Verletzungen dagegen unübersehbar: lineare Frakturen, die in einem kleinen Bereich zerbröckelter Knochen endeten. Es gab keinerlei Anzeichen von Verheilung, was darauf hindeutete, dass die Frakturen perimortem entstanden waren – beim Tod oder kurz davor.
Anstatt ihren Bericht fertigzustellen, rief Fry den Forensic Science Service an und bat darum, mit einem der Chemiker sprechen zu können, die sich mit dem Beweismaterial aus dem verlassenen Crystal-Meth-Labor auf Pity Wood befassten.
»Ja, die Herstellung von Methamphetamin in einem
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