Todesahnung: Thriller (German Edition)
arbeitet. Außerdem ist er keinen Tag gealtert. Er sieht noch genauso aus wie das letzte Mal, als ich ihn sah.
Damals, als ich zwölf Jahre alt war.
Ich werde von Zweifeln eingehüllt wie von dichtem Nebel. Ist er es wirklich? Vielleicht sieht dieser Arzt nur wie Floyd Magnumsen aus. Aber einschließlich des Grübchens im Kinn?
Es gibt nur einen Weg, um das herauszufinden. Hingehen und fragen. Wenn ich Recht habe, braucht er nicht einmal zu antworten. Angesichts dessen, was passiert ist - warum und wie er getötet wurde -, wird sein Blick alles sagen.
Kristin! Du solltest dich mal selbst reden hören. Wenn du Recht hast, heißt das, du wirst dich mit einem Toten unterhalten!
Und wenn ich Unrecht habe? Wenn ich hinaus in den Flur gehe und mich wieder wie eine Verrückte benehme?
Ich brauche nicht zu erwähnen, dass mich das Krankenhaus dann auf jeden Fall in ein Zimmer steckt. In eins mit gepolsterten Wänden. Und einem kleinen Fenster, damit man mich beobachten kann.
Doch es ist Magnumsen. Ich weiß es.
Genauso wie ich meinen Vater gesehen habe. Von ihm habe ich sogar die Fotos als Beweis.
Moment mal. Fotos!
Ich renne zu meiner Umhängetasche und hole meine Kamera heraus. Ein Film ist eingelegt, die Kamera bereit.
Bin ich es? Und wozu? Zum nächsten Test?
Ich bleibe neben der Tür stehen, die Wange an das kühle Holz gelehnt, und schlucke schwer. Ich muss schnell und leise sein. Niemand darf mich beim Fotografieren erwischen. Dr. Curley nicht, und vor allem Magnumsen nicht. Warum nicht, Kris? Weil sich Tote nicht gern fotografieren lassen?
Vorsichtig spähe ich wieder auf den Flur hinaus. Die beiden Männer stehen immer noch beieinander, doch Dr. Curley und sein blondes Haar verdecken wieder das Ziel.
Mit erhobener Kamera blicke ich durch den Sucher und warte auf den richtigen Moment. Komm schon, Doc, beweg dich.
Tut er nicht. Steht da wie ein Ölgötze.
Aber ich auch. Wie lange halte ich es aus, bis jemand …
Jetzt!
Für den Bruchteil einer Sekunde gleitet Dr. Curley ein Stück zur Seite, als er sein Telefon einsteckt. Ich habe das Bild! Ein weiterer Beweis, dass nicht ich verrückt bin, nein, sondern die Welt um mich herum ist es. Das ergibt Sinn - jedenfalls wenn man in meiner Haut steckt.
In dem Moment, als ich abdrücke, höre ich einen Schrei hinter mir. Ich wirble herum und sehe eine hochschwangere Frau gekrümmt vor dem Eingang zur Notaufnahme stehen. Als sie erneut schreit, eilen zwei Krankenschwestern zu ihr.
Sie zeigt in meine Richtung - sie schaut mich an und zeigt genau auf mich.
Wieder schreit sie und bringt nur ein Wort heraus: »Satan!«
Sie ist nicht mehr die Einzige, die in meine Richtung blickt. Dr. Magnumsen tut es ebenfalls.
Wenn ich mir vorher nicht sicher war, so bin ich es jetzt. Es sind fast fünfzehn Jahre vergangen, doch er ist keinen Tag gealtert. Dieser Mann, der mich belästigt hat - mein Kinderarzt -, erkennt mich auf Anhieb.
Sein gemeiner Blick sagt alles.
69
»Kristin, bitte öffnen Sie die Tür«, verlangt Dr. Robert Curley mit der perfekten Stimme, um für Kinder den Märchenonkel zu spielen.
Ich falle darauf nicht herein. Ich reagiere auf sein Täuschungsmanöver nicht.
»Was auch immer Ihnen Angst macht, wir können Ihnen sicher helfen.« Hast du »wir« gesagt, Robbie?
Ich merke seiner Stimme die Anstrengung an, mit der er versucht, herzlich zu bleiben. Sicher hat er das aus einem Buch gelernt, Reden mit Durchgeknallten oder so ähnlich. Lektion eins: Nie die Ruhe verlieren.
»Kommen Sie, Kristin. Ich bin nicht Ihr Feind«, sagt er.
Eine interessante Wortwahl, auf die ich dann doch reagiere.
»Ist er bei Ihnen?«, frage ich. »Ist er noch da draußen?«
»Wer soll bei mir sein?«
Ha! Ich weiß, Floyd Magnumsen steht gleich neben ihm, ich spüre es. Warum spielt Robbie Curley auf einmal den Dummen? Oder ist er Teil des Komplotts?
Jetzt sage ich nichts mehr, sondern lausche nur Curleys Versuchen, mich aus diesem winzigen Zimmer zu locken. Es hat keinen Zweck, und das weiß er. Er wird immer frustrierter. Herzlichkeit wandelt sich zu Verdrießlichkeit.
»Jetzt öffnen Sie endlich die Tür!«, ruft er. »Machen Sie sofort auf.« Er beginnt, mit den Fäusten gegen die Tür zu trommeln. Ich behalte den Türknauf im Auge, der mit einem Knopf von innen verriegelt wird. Ich fürchte, er könnte vom Rütteln herausspringen.
»Sie können doch nicht ewig da drin bleiben!«
Das werden wir noch sehen.
Plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher