Todesangst
gehabt habe.
Curran hatte getreulich mitgeschrieben und blickte jetzt auf; er schien wachsamer geworden zu sein. »Was genau meinen Sie mit ›Paranoia‹?«
»Verfolgungswahn - er behauptete, es verfolge ihn jemand und wolle ihn und seinen Sohn töten.«
»Sagte er, wer?«
»Nein«, antwortete Dr. Howard. »Um ehrlich zu sein, hielt ich das für Einbildung. Sein Benehmen war ohnehin äußerst auffällig. Ich fürchtete, daß er knapp vor einer schweren Dekompensation stand.«
»Dekompensation?« echote Curran fragend. »Einfacher ausgedrückt: einem Nervenzusammenbruch«, erklärte der Arzt.
»Ich verstehe«, sagte Curran und wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Notizbuch zu, in das er, von Dr. Howard genau beobachtet, eifrig hineinkritzelte. Er hatte die merkwürdige Angewohnheit, in unregelmäßigen Abständen die Spitze seines Bleistifts mit der Zunge anzufeuchten.
In diesem Augenblick tauchte eine weitere Person auf. Sie ging um den Tisch herum auf Dr. Howard zu, der, ebenso wie der Kriminalbeamte, aufstand. Der Neuankömmling war eine zierliche Frau, nicht viel mehr als einen Meter fünfzig groß. Sie stellte sich als Dr. Margaret Danforth vor. In überraschendem Kontrast zu ihrer Figur stand ihre Stimme, die klangvoll den Raum füllte.
»Bitte nehmen Sie doch Platz«, sagte sie und lächelte dabei Curran zu, den sie offensichtlich kannte.
Jason Howard schätzte die Frau auf zweite Hälfte Dreißig. Sie hatte feingezeichnete Züge mit hohen, starkgewölbten Brauen, die ihrem Gesicht einen Ausdruck von Unschuld verliehen. Ihr Haar war kurz und sehr lockig. Sie trug ein schlichtes dunkles Kleid mit einem Spitzenkragen. Dr. Howard hatte Mühe, ihre äußere Erscheinung in Übereinstimmung zu bringen mit ihrer Position als bestallte Leichenschauärztin der Stadt Boston.
Sie kam ohne Umschweife zur Sache: »Worum geht’s?« Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, und Howard war überzeugt davon, daß sie seit dem frühen Morgen auf den Beinen war.
Der Kriminalbeamte kippte seinen Stuhl nach hinten und begann darauf zu schaukeln. »Plötzlicher Tod eines Arztes in einem Restaurant in der Nordstadt. Offensichtlich hat er eine große Menge Blut erbrochen…«
»›Ausgehustet‹ träfe die Sache genauer«, unterbrach ihn Dr. Howard.
»Und warum das?« fragte Curran und ließ sich plumpsend wieder nach vorn fallen. Er leckte die Spitze seines Bleistiftes an, um eine Korrektur in seinen Eintragungen vorzunehmen.
»Erbrechen würde bedeuten, daß es aus seinem Verdauungstrakt kam«, erläuterte Howard. »Das Blut kam aber aus der Lunge - es war hellrot und schaumig.«
»Schaumig - ein schöner Ausdruck«, meinte Curran und trug die Ergänzung gewissenhaft in sein Notizbuch ein.
»Ich nehme also an, daß es arterielles Blut war«, sagte Dr. Danforth.
»Davon gehe ich aus«, bestätigte Dr. Howard.
»Und das bedeutet…?« fragte Curran.
»Wahrscheinlich ein Durchbruch der Aorta«, sagte die Ärztin. Sie hatte die Hände im Schoß gefaltet, als ob sie bei einem Tee-Empfang sitze. »Die Aorta ist die Hauptschlagader, die vom Herzen wegführt«, fügte sie zur Erläuterung für Curran hinzu. »Sie führt das mit Sauerstoff angereicherte Blut dem Körper zu.«
»Besten Dank«, sagte Curran.
»Das klingt entweder nach Lungenkrebs oder einem Aneurysma.« Und wieder an Curran gerichtet, erläuterte sie: »Ein Aneurysma ist die krankhafte Ausbeulung der Wand eines Blutgefäßes.«
»Herzlichen Dank«, sagte Curran. »Es ist immer sehr praktisch, wenn die Leute davon ausgehen, daß ich keine Ahnung habe.«
Vor Jason Howards geistigem Auge tauchte rasch das Bild des Schauspielers Peter Falk als ›Detektiv Columbo‹ auf. Er war ganz sicher, daß Curran alles andere als ahnungslos oder dumm war.
»Würden Sie mir diesbezüglich zustimmen, Herr Kollege?« wandte sich die Ärztin an Dr. Howard.
»Ich würde auf Lungenkrebs tippen«, meinte dieser. »Hayes war ein sehr starker Raucher.«
»Das erhöht natürlich die Wahrscheinlichkeit.«
»Ist irgendeine Möglichkeit für einen gewaltsamen Tod gegeben?« fragte Curran und schickte unter seinen schweren Lidern einen entsprechenden Blick zu der Ärztin hinüber.
Diese lachte kurz auf. »Wenn die Diagnose so ist, wie sie sich jetzt darstellt, kommen als Verantwortliche nur sein Schöpfer oder die Tabakindustrie in Frage.«
»Das habe ich mir eigentlich auch gedacht«, meinte der Kriminalbeamte, klappte sein Notizbuch zu und steckte den Bleistift
Weitere Kostenlose Bücher