Todesblueten
nicht fertig, das Stück in den Mund zu schieben. Sofort hatte ich die Szene von heute Morgen vor Augen und wie auf Befehl fing mein Fuß an wehzutun.
»Und, was hast du gelernt?«, fragte ich David. Hatte er nicht eben so etwas gesagt? Ich musste mich ablenken.
»Dass es tatsächlich noch Autoren gibt, die alles mit der Hand schreiben«, sagte David. »Ich dachte, heutzutage hätte jeder einen Rechner.«
Leon lächelte, immer noch so amüsiert. »Ich bin eben altmodisch. Außerdem will ich mich nicht von irgendwas abhängig machen. Computerviren, Systemabsturz, Strom . . .«
»Eben«, sagte Alex kauend. »In unserer Hütte gibt's nicht mal Strom. Das hält kein Schwein aus.«
»Ich finde, altmodisch zu sein hat was. Das ist doch sexy.« Melanie hob ihr Glas hoch. Es sah aus, als wolle sie mit Leon anstoßen. Alex hörte auf zu kauen. Ich fand, dass sie sich jetzt mal ein bisschen zusammenreißen könnte. Alex war bescheuert, gar keine Frage, aber musste sie sich so an Leon ranschmeißen? Ich blickte auf den See hinaus.
Auf dem dunklen Wasser schwamm eine einsame rote Seerose. Oder? Die Sonne war jetzt fast weg. Ichblinzelte. Wieder tauchte so ein roter Punkt auf. Und noch einer. Das waren keine Seerosen. Da war etwas Größeres im Wasser. In der Nähe vom Schilf bei unserem Bootssteg. Wo kam das auf einmal her? Aus der Richtung des Jungen am Feuer? Es schwamm geradewegs auf Tante Lenas Hausboot zu.
»Du bist doch die Erste, die nach Strom schreit«, sagte Alex gerade.
Was war dort? Ich kniff die Augen zusammen, als ob ich so besser sehen könnte.
»Ist was?«, fragte David. Er beobachtete mich.
Ich schüttelte den Kopf. Ließ meine Haare wie einen Vorhang runterfallen, damit niemand mein Gesicht sah. Mein Herz raste. Aber David war der Letzte, dem ich sagen würde, was da im Wasser schwamm. Gemütlich auf das Schilf vor unserem Steg zutrieb.
Eine schwarze Tasche mit kleinen roten Monstern darauf.
13.
Der restliche Abend war irgendwie an mir vorbeigerauscht. Ich hatte Davids prüfende Blicke auf mir gespürt, aber wie immer hatte er nichts gesagt und ich wusste nicht, ob er die Tasche auch gesehen hatte. Oder bereits gewusst hatte, dass die Tasche hier irgendwo herumschwamm? Bei diesem Gedanken war mir ganz übel geworden und ich hatte keinen Bissen mehr herunterbekommen. Die ganze Zeit hatte ich versucht, Melanie zu signalisieren, dass ich mit ihr reden wollte, aber sie hatte dagesessen wie festgeklebt, hatte immer lauter gelacht und immer heftiger mit Leon geflirtet, was mich zusätzlich genervt hatte, bis schließlich eine Weinflasche umgefallen war und sich über ihr T-Shirt ergossen hatte. Wahrscheinlich hätte sie sich auch noch einen Pullover von Leon geborgt, aber zum Glück war Alex abgefüllt bis oben hin und von David überredet worden, endlich zu gehen. So hatten wir uns auf unseren kurzen Heimweg gemacht, wobei ich mit zusammengebissenen Zähnen hinter Melanie und Alex hergehumpelt war, langsam und voller Angst, im Dunkeln hinzufallen. Begleitet wurde das Ganze von dem heftigen Wortgefecht derbeiden und von Davids gelegentlichem »Pass auf, da ist 'ne Wurzel«.
Wir stolperten jetzt zurück auf unser Hausboot. Mittlerweile war finsterste Nacht. Das Feuer des Tauchers konnte ich nicht mehr erkennen und auch bei dem mysteriösen Paar im weißen Boot glimmte nur noch ein kleines Lämpchen. Melanie und Alex stürmten sofort ins Innere unseres Bootes.
»Sekunde«, brabbelte Alex. »Muss mal ein Wörtchen mit der reden.« Er knallte mir die Tür vor der Nase zu. David stand auf unserem Mini-Deck und starrte auf das Wasser. Der Rauch seiner Zigarette bildete mit einem kleinen Mückenschwarm eine Art Heiligenschein über seinem Kopf.
Weil es so dunkel war, konnte ich nicht mehr sehen, ob die Tasche noch da unten im Schilf hing.
»Ist da irgendwas?«, fragte ich David mit dünner Stimme.
»Dunkles Wasser.«
Typisch David. Bloß kein Wort zu viel. Warum haute er nicht ab und ging rein? Dann könnte ich nachsehen, ob die Tasche noch dort unten festhing. »Warum gehst du nicht rein?«
»Ich rauch noch auf.« Er sah mich nicht an, sondern starrte hinunter ins Wasser. »Geh du mal ins Bett.«
Es war offensichtlich, dass er mich loswerden wollte.
Geh du mal ins Bett, kleines Dummchen
. Plötzlich wurde ich wütend, und ehe ich mich bremsen konnte,rutschte es mir heraus: »Suchst du vielleicht die Tasche mit den kleinen roten Monstern?«
War er zusammengezuckt? Schwer zu sagen. Das Glimmen seiner
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