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Todesblueten

Todesblueten

Titel: Todesblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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systematisch vorzugehen. Als Allererstes knöpfte ich mir die Ecke vor, in die er all seine Sachen geschmissen hatte. Ein Haufen Klamotten, garniert mit einer einsamen Sandale. Ich schaute vorsichtig darunter. Nichts. Sein Rucksack, achtlos auf den Boden gepfeffert, darin ein muffiges Handtuch, ein angebissener Proteinriegel, eine Tube Zahncreme. Noch ein paar Schuhe auf dem Boden. Nichts. Ich tastete unter das Sofa, guckte in den kleinen Schrank mit den Küchenutensilien, durchwühlte sogar meine eigenen Sachen, in der absurden Hoffnung, dass er die Tasche vielleicht dort versteckt hatte. Ich untersuchte jeden Zentimeter des verdammten kleinen Raumes und war schon kurz davor, David zur Seite zu rollen, um unter seinen Schlafsack zu gucken   – vielleicht schlief er ja auf der Tasche   –, da machte er plötzlich die Augen auf. Ich erstarrte.
    »Wer is'n das?«, fragte er.
    »Was?«, stammelte ich. Erkannte er mich nicht? Schlief er weiter, mit offenen Augen?
    »Draußen, hör doch mal.«
    Ich lauschte, zu verdattert, um etwas zu sagen. Dann hörte ich es. Eine tiefe Männerstimme. Und Melanies Stimme, die irgendetwas antwortete. Das war nicht Leon. Mit wem redete sie da? Ich zuckte ratlos mit den Schultern.
    »Sag denen, sie sollen nicht so laut sein«, brummte David und wühlte sich wieder in seinen Schlafsack. Ich stand auf und ging raus, froh darüber, dass er offenbar nichts von meiner Suchaktion mitbekommen hatte. Draußen stand Melanie auf dem Steg und redete mit einem Mann in einem Paddelboot. Ich trat verwundert näher.
    »Na?«, rief der Mann mir zu. »Guten Morgen. Kommt ihr klar?«
    Ich rätselte herum, wer das war und was er wollte. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Natürlich. Das war der Typ vom Wasserbus. Der uns am ersten Tag weiter vorn abgesetzt hatte. Heute war das Tuch um seinen Hals weiß, mit kleinen, blauen Ankern darauf.
    »Hallo«, sagte ich lahm.
    »Er will hier angeln«, erklärte Melanie.
    »Mach ich am Wochenende gern mal«, sagte der Mann und hob eine Angel hoch. »Normalerweise nicht im Lausensee, aber als ich euch neulich hier abgeliefert habe, da dachte ich   – warum nicht? Vielleicht gibt's hier ja einen guten Fang zu machen.« Irgendwie kam es mir vor, als ob er dabei Melanie anstarrte, die im Bikini auf dem morschen Steg herumstolzierte,als wäre sie auf einem Laufsteg in Paris. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein, weil ich neidisch war, dass Leon mich gar nicht richtig wahrnahm.
    »Was für Fische gibt es hier denn?«, fragte ich.
    »Haie«, sagte der Mann und lachte polternd. Wir lachten höflich mit. Melanie warf mir einen schnellen Blick zu und verdrehte die Augen.
    »Nee«, erklärte der Mann und hustete. »Vielleicht Aale. Oder Schleie. Wenn ich Glück hab. Also dann.« Er hob kurz die Hand hoch und ruderte dann in die Mitte des Sees, wo er sich offenbar häuslich niederlassen wollte. Der Gedanke, dass einem in diesem See glitschige Aale um die Beine schwammen, war irgendwie eklig. Und ernährten sich Aale nicht auch von Leichen? Ich schüttelte mich unwillkürlich.
    »Wo ist Leon?«, fragte ich Melanie. »Ich dachte, ihr wolltet gemütlich Kaffee trinken?«
    »Der wollte auf einmal doch nicht mehr. Er muss was schreiben, hat er gesagt. Wir sollen ihn nicht stören.«
    Ich sah zu Leons Hausboot. Das sah aus wie ausgestorben, alle Türen waren zu, als ob gar keiner dort wohnte. Klar, er brauchte Ruhe fürs Schreiben. Wahrscheinlich gingen wir ihm auf die Nerven. Der Wasserbusmann saß in der Mitte des Sees wie eine Statue und sah ab und zu sah er zu uns herüber.
    »Hoffentlich haut der bald ab«, sagte Melanie. »Der geht mir ja jetzt schon auf den Geist. Da traut man sich gar nicht, ins Wasser zu springen.« Missmutiglegte sie sich wieder hin, dann sah sie plötzlich hoch. »Guck mal. Der Alte glotzt rüber.«
    Erst dachte ich, sie meinte den Wassertaxitypen, aber dann sah ich ihn. Den Mann aus dem weißen Cottageboot. Er stand auf seiner kleinen Veranda wie Krösus, die Arme aufgestützt, und starrte zu uns herüber.
    »Huhu!«, rief Melanie. Sie winkte ihm spöttisch zu.
    »Hör auf, Mann! Du bist unmöglich.«
    Der Mann starrte weiter zu uns, ohne sich zu rühren.
    »Ach was. So 'n alter Spanner«, sagte Melanie. »Dabei hat er doch seine eigene Tussi mitgebracht.« Dann fiel ihr etwas ein. »Hast du nicht gesagt, der kann es nicht leiden, wenn er fotografiert wird? Gib mir mal mein Handy, das liegt neben dir.«
    »Mellie, lass das.«
    »Wieso, das

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