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Todesblueten

Todesblueten

Titel: Todesblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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zog sie aus dem kleinen Loch heraus. Sie rutschte sofort ins Wasser. Das schien sie zu beleben, ihre Augen öffneten sich ganz und sie sah mich an. »Was zu trinken.« Es war kaum zu hören.
    Ich merkte, wie mir wieder Tränen in die Augen stiegen. Aber ich durfte Melanie nicht noch mehr Angst einjagen. So zwang ich mich zu einem fröhlichen Gesicht, strich ihr übers Haar und sagte: »Ja, Mellie, keine Bange. Wir schaffen dich vor zum Boot. Hey, da gibt's sogar Cola light, dein Lieblingsgetränk.« Ich plapperte dämliches Zeug, das war mir schon klar, und selbst wenn ich es nicht gewussthätte   – Bastians Blick sagte alles. Cola light! Aber es war mir egal. Ich wollte, dass Melanie mir zuhörte, ich wollte sie aufmuntern und ablenken und irgendwie dazu bringen, nicht an den Verrückten zu denken, der ihr das angetan hatte. Und es wirkte. Es war ganz schwach, aber dennoch nicht zu übersehen   – das kleine schiefe Lächeln in ihrem Mundwinkel.
     
    Wir schwammen vor zu Leons Bootssteg, Melanie in der Mitte zwischen uns. Es war total anstrengend, mit nur einem Arm zu schwimmen, aber als wir sie aus dem Wasser zogen, konnte sie schon ein kleines bisschen mithelfen. Ich fragte mich, was Leon mit ihr gemacht hatte. Sie war völlig fertig, zitterte richtig.
    Bastian keuchte vor Anstrengung, er hatte Melanie auf den Steg hochgezogen, ich kniete schnaufend daneben. Wir waren alle klitschnass, die Sonne knallte jetzt herunter, die Insekten tanzten und surrten, und wer uns von Weitem gesehen hätte, wäre wahrscheinlich der Meinung gewesen, drei vom Schwimmen erschöpfte Jugendliche vor sich zu haben, die den schönen Sommertag nutzten.
    »Polizei . . . anrufen . . .«, stieß ich heraus. Bastian nickte und stemmte die Hände in die Seiten wie nach einem Hundertmeterlauf. »Ich hab das Handy von dem Arschloch nicht gefunden«, sagte er.
    »Wieso hast du eigentlich keins?«, fragte ich wütend, sobald ich wieder genug Luft bekam. Wie einfachdann alles gewesen wäre. Bastian bekam einen ganz seltsamen Gesichtsausdruck. Fast verlegen. »Ist 'ne lange Geschichte«, sagte er nur.
    Ich schüttelte entnervt den Kopf. »Und jetzt?« Dann fiel mir was ein. »Alex hat auch ein Handy. Der läuft hier doch irgendwo rum, ich verstehe gar nicht, wieso der noch nicht wieder da ist. Den müssen wir suchen.« Ich stand auf und machte einen Trichter aus meinen Händen. »Alex!«, brüllte ich. »Wo bist du?«
    »Ich hab Durst.« Das kam von Melanie, diesmal kräftiger.
    Mann, wie konnten wir hier Zeit verplempern, wenn Melanie am Verdursten war? »Such dir ein Handy. Alarmiere jemanden, irgendwen. Bitte!«, sagte ich zu Bastian. »Ich kümmere mich um Mellie.«
    »Okay. Ich fahr mit dem Boot los. Ich kann schnell paddeln. Ich schaffe es vielleicht in zwanzig Minuten bis ins nächste Dorf.«
    »Du musst. Beeil dich!«
    Er antwortete nicht. Er rannte los zu seinem kleinen Paddelboot, das an unserem Steg festgebunden war, wie ich erst jetzt bemerkte. Warum war Bastian eigentlich hier aufgetaucht? Das würde ich ihn fragen. Später, wenn er zurückkam. Wenn alles gut ging.
     
    »Mellie«, sagte ich behutsam. »Ich schneide dir gleich den Draht auf.« Verdammt. Kurz darauf bereute ich meine voreiligen Worte. Unser Boot warviel zu weit weg, das würde sie nicht schaffen. Und abgesehen davon befand sich das einzige scharfe Messer, die einzige Schere, die diesen Scheißdraht durchkriegen würde, in Leons Hausboot. Oh Gott. Das Letzte, was ich wollte, war, noch einmal da reinzugehen. Eine Sekunde lang überlegte ich, ob ich Melanie nicht einfach gefesselt lassen sollte, bis die Polizei kam. Doch dann stellte ich mir vor, wie hilflos sie sich fühlen musste. In welche Panik sie der Gedanke versetzen musste, sich nicht wehren zu können.
    Hatte sie mich überhaupt gehört? Ja. Sie nickte dankbar. Okay, ich musste es tun. »Und deshalb«, ich bemühte mich um einen sorglosen Ton, obwohl mir die Angst wie eine glitschige Ratte im Nacken saß, »deshalb geh ich mal kurz da rein und hole die Schere.« Da verzerrte sich plötzlich ihr Gesicht voller Angst. »Leon?«, fragte sie.
    »Ist am Tisch festgebunden. Mit seinem eigenen Scheißdraht. Der tut dir nichts mehr.« Hoffentlich. Hoffentlich! Mein Herz galoppierte wie irrsinnig und ich merkte, wie sich mein Lächeln zu einer Grimasse verzog, einer Grimasse aus schierem Horror. Melanie durfte das nicht sehen. Ich biss die Zähne so fest zusammen, dass es knirschte, dass es wehtat. Es half. Der Schmerz

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