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Todesblueten

Todesblueten

Titel: Todesblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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wartete wie ein Lamm . . . Und Melanie war draußen vor der Tür, immer noch mit festem Draht um ihre Hände. Panik schnitt mir die Luft ab, ich fing an zu zittern.
    Wie sollte ich herausfinden, wo er sich befand? Doch in der nächsten Sekunde wusste ich, dass diese Frage überflüssig war. Denn von irgendwoher, ganz in meiner Nähe, kam jetzt Leons Stimme, heiser und voller Schadenfreude.
    »Na? Jetzt wird es doch noch gemütlich, was?«
    Ich umklammerte die Schere mit meinen Fingern.

26.
    Der Plastikgriff der Schere drückte in meinen Handballen. Ich stand genau hinter dem Küchentresen und durchforstete mit den Augen das Wohnzimmer vor mir. Nichts zu sehen. Dann drehte ich mich halb zur Seite. Rechts ging es aus der Küchenecke heraus, den kleinen Gang entlang zu den Schlafzimmern und zum Bad. Wo war er? Lauerte er im Halbdunkel der offenen Schlafzimmertür? Oder hockte er irgendwo im Wohnzimmer auf dem Boden? Ich musste ihn noch mal hören, damit ich einschätzen konnte, wo er war. Ich musste ihn zum Reden bringen. Was sollte ich nur sagen? Mein Kopf war wie leer gefegt. Leon wollte immer bestätigt bekommen, wie schlau er doch war, erinnerte ich mich plötzlich.
    »Leon«, rief ich also ins Blaue hinein, »wenn du wirklich so clever bist, wie du immer behauptest, wieso hast du dann David niedergeschlagen? Weil er dir zu voreilig war? Das kapier ich nicht.«
    Einen Moment lang herrschte Stille und ich dachte schon verzweifelt, dass er mich durchschaut hatte, aber dann erklang auf einmal wieder seine näselnde Stimme. Von rechts. Von den Schlafzimmern.
    »Weil er mir ein Loch in den Bauch gefragt hatbeim Kochen. Über meine Bücher.« Hier gab Leon ein Grunzen von sich, halb amüsiert, halb verärgert. »Euer Koch mit den zerschnippelten Fingern ist nämlich ein Krimifan, wer hätte das gedacht. Ich hab ihm gesagt, dass ich nur in Schweden gelesen werde.«
    »Aha«, machte ich.
Rede weiter. Berausche dich an deiner tollen Cleverness, du widerlicher Typ. Hauptsache, du redest. Dann weiß ich, wo du dich aufhältst.
»In Schweden.«
    »Genau. Schwedische Krimis. Den Witz hat er nicht kapiert. Dafür hat's dann doch nicht gereicht. Aber in meinen Sachen rumgeschnüffelt hat er, genau wie du.«
    Mir wurde ganz heiß. David hatte schon gestern Abend Leons widerliches Zeug gelesen und uns nichts gesagt? Wie blöd war er denn nur? »So ein Idiot«, rutschte es mir heraus.
    »Genau!« Leon klang begeistert. »Dann fing er auch noch damit an, dass er mir nicht abnimmt, dass ich Krimis schreiben würde. Klugscheißer. Das hat er nun davon.«
    Wieder so ein Grunzen. Warum hatte David nichts gesagt? Warum nur?
    Ich hörte ein kleines Knacken. Bewegte Leon sich heimlich vorwärts? Sollte ich mich auf den Küchentresen schwingen, darüberhechten und durch das Wohnzimmer nach draußen rennen? Was, wenn ich dabei abrutschte, ausrutschte, hinfiel? Mein Blickirrte hin und her. Wo war das Arschloch? »David hat also das blonde Mädchen gekannt?«, bohrte ich weiter. »Das war seine Freundin?«
    »Was weiß ich, zu wem die kleine Schlampe gehört hat.« Aus Leons Stimme klang totale Gleichgültigkeit. Das Mädchen war ihm so egal wie ein Fisch im See. Melanie war ihm genauso egal. Ich auch. Wir waren kleine Stationen auf seinem kriminellen Weg. Wer Pech hatte, blieb liegen. Ich würde kein Pech haben. Ich nicht! Hastig sah ich mich um.
    »Eins, zwei, drei   – ich komme«, sagte Leon. Hörte ich die Stimme jetzt von links? Vom Wohnzimmer? Wie konnte das sein? Ich war kurz davor, in Panik auszubrechen. Dann fiel mir auf einmal etwas auf: Am Ende des Tresens, direkt neben der Eingangstür, konnte man die Tischoberfläche hochklappen, es war gar kein fester Tisch. Wenn ich die Platte hochklappte, war ich im Nu an der Tür und musste sie nur noch öffnen. Dann war ich draußen. Was dann geschehen sollte, wusste ich zwar auch nicht, aber es erschien mir auf jeden Fall besser, als hier drinnen mit Leon gefangen zu sein. »Hey«, rief ich laut und fuchtelte dabei mit den Armen, damit ich eine Packung Toastbrot umschmeißen konnte, die dort stand. Die wiederum knallte an eine Tasse wie ein Domino und die Tasse fiel herunter. Das musste als Ablenkung reichen. Rasch schob ich mich zu der aufklappbaren Tischplatte vor.
    Leon hatte nicht reagiert. Wo war er? Ich hatteschätzungsweise eine Zehntelsekunde Zeit, die Tischplatte hochzuklappen, durch den engen Spalt durchzurutschen und gleichzeitig die Tür nach draußen zu öffnen. Ich holte

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