Todesbote
vielleicht die eines Jugendlichen oder eines Kindes. Sie war vom Wasser aufgedunsen, so dass ich das Alter nicht schätzen konnte, doch sie war an Händen und FüÃen gefesselt.
Es war ein Mädchen. Lieutenant Jackson trat vor und strich ihm das lange Haar aus dem Gesicht.
Ich war erleichtert, weil es sich bei der Leiche nicht um die von Kim McDaniels handelte und ich Levon und Barbara nicht anrufen musste.
Doch meine Erleichterung wurde durch den kaum zu ertragenden Schrecken gedämpft. Wieder war ein Mädchen, um das seine Eltern trauern würden, grausam ermordet worden.
43
Der gellende Schrei einer Frau übertönte das Dröhnen des Hubschraubers. Eine dunkelhäutige Frau, höchstens einssechzig groà und vielleicht fünfzig Kilo schwer, rannte auf das Absperrband zu. »Rosa! Rosa! Madre de Dios, no!«, rief sie.
Ein Mann rannte hinter ihr her. »Isabel, geh nicht dorthin. Nein, Isabel!«, rief er. Er holte sie ein, doch als er sie festhielt, schlug sie mit Fäusten auf ihn ein, versuchte, sich loszumachen. Die Sehnen zeichneten sich an ihrem Hals ab. » No, no, no, mi bebe, mi bebe «, weinte sie.
Polizisten umringten die Eltern des toten Mädchens und drängten sie fort, Presseleute rannten mit gierig funkelnden Augen auf sie zu. Wie erbärmlich.
Unter anderen Umständen hätte ich vielleicht zu dieser Meute gehört, doch im Moment kletterte ich hinter Eddie Keola den felsigen Abhang hinauf, wo oben die Ãbertragungswagen Stellung bezogen hatten. Ãrtliche Fernsehreporter erstatteten vor laufenden Kameras Bericht, als die kleine, gekrümmte Leiche auf einer Trage zum Wagen des Gerichtsmediziners gebracht wurde. Türen wurden zugeknallt, der Wagen entfernte sich.
»Sie hieà Rosa Castro«, erzählte Keola, als wir in den Jeep stiegen. »Sie war zwölf. Haben Sie die Fesseln gesehen? Arme und Beine hinten zusammengebunden.«
»Ja, habe ich gesehen.«
Fast mein halbes Leben lang hatte ich über Gewalt geschrieben, doch die hässlichen Bilder, die sich mir angesichts des Mordes an diesem Mädchen aufdrängten, bereiteten
mir körperliche Qualen. Ich schluckte Galle, als ich die Tür zuknallte.
Keola startete den Motor. »Sehen Sie, deswegen wollte ich die McDaniels nicht anrufen«, sagte er, als er Richtung Norden fuhr. »Wenn es Kim gewesen wäre...«
Sein Telefon klingelte. Er klopfte seine Jackentasche ab und hielt sich das Telefon ans Ohr. »Levon, Levon, es ist nicht Kim. Ja, ich habe die Leiche gesehen. Ich bin mir sicher. Es ist nicht Ihre Tochter.«
Er versprach den McDaniels, bei ihnen am Hotel vorbeizufahren. Wenige Minuten später hielten wir vor dem Haupteingang.
Barbara und Levon standen unter dem überdachten Vorbau, sanfter Wind wellte ihr Haar und ihre neue hawaiische Aufmachung. Sie hielten einander fest an den Händen, ihre Gesichter genauso weià wie ihre Fingerknöchel.
Gemeinsam betraten wir die Eingangshalle. Keola erklärte, ohne in die unaussprechlichen Einzelheiten zu gehen, das Kind sei erdrosselt worden.
Barbara erkundigte sich, ob es eine Verbindung zwischen Rosas Tod und Kims Verschwinden geben könne, eine Frage, die niemand sicher beantworten konnte. Ich versuchte es allerdings: Ein Mörder verfolge immer eine bestimmte Vorgehensweise, und es komme selten vor, dass sich einer sowohl ein Kind als auch eine Frau als Opfer wählte. Nun ja, selten, aber die Möglichkeit bestand.
Ich erzählte Barbara nicht nur das, was sie hören wollte, sondern tröstete auch mich selbst. Damals wusste ich nicht, dass Rosa Castros Mörder einen breit gefächerten und grenzenlosen Appetit auf Folter und Mord hatte.
Und mir kam auch nicht in den Sinn, dass ich ihn bereits kennengelernt und mit ihm gesprochen hatte.
44
Horst genoss seinen Domaine de la Romanée-Conti, den er 2001 für vierundzwanzigtausend Dollar pro Flasche bei Sothebys ersteigert hatte. Er forderte Jan auf, mit ihm anzustoÃen. Es war ein Witz. Jan saà tausend Kilometer entfernt in seinem Büro, doch ihre Webcam-Verbindung vermittelte den Eindruck, als säÃen sie im selben Zimmer.
Der Anlass für diese Konferenz: Henri Benoit hatte an Horst gemailt, er könne um neun Uhr abends ein Video herunterladen. Horst hatte Jan, seinen langjährigen Freund, zur Premiere des neuesten Videos eingeladen, bevor er es an den Rest der Allianz weiterschicken würde.
Horsts
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