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Todesbraut

Titel: Todesbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Verabschiedungsfloskel, ohne nach Kerstins Befinden oder nach ihrer Tochter gefragt zu haben, ohne ein geheucheltes »Ich melde mich ein andermal, wenn mehr Zeit zum Plaudern ist.« Sie legte einfach auf, atmete tief durch und schaute die Polizistin fragend an. »Darf ich noch ein Gespräch führen?«
    »Na klar!«, kam grinsend die Antwort. Wencke hatte das Gefühl, als durchschaue diese Frau die ganze Peinlichkeit der Situation, obwohl das natürlich unwahrscheinlich war.
    Und – endlich! – hatte sie Axel am Apparat, sofort, das erste Freizeichen war kaum verklungen.
    Er keuchte. »Wencke, meine Güte! Wo steckst du? Ich habe   … verdammt noch mal   … tausendmal, aber dein Handy   … Emil ist doch bei dir?«
    »Bei mir?« Ihre Erleichterung zersplitterte in tausend Stücke. Sie hätte es ahnen müssen, nichts war gut, nur weil sie eine Frau vor dem Ertrinken gerettet hatte, denn der Fall, in den sie verwickelt war, hatte sie fest im Griff. Sie schaffte es kaum, Luft zu holen. »Du hast ihn doch abgeholt! Wir haben verabredet   …! Emil ist bei dir!«
    »Nein, Wencke, ist er nicht! Ich war pünktlich in der Schule, aber Emil war nicht mehr da. Die sagten, er wäre bereits abgeholt worden   …«
    Wencke stand auf, auch wenn ihre Beine wie aus Butter waren. »Wer hat das gesagt?«
    »Ein Mitschüler, glaube ich. Ein Türke, etwas älter, so um die zwölf. Er sagte, Emil wäre mit seiner Mama los. Da dachte ich, bei dir wäre es schneller gegangen als gedacht und bin mitdem Auto los. Als ihr dann nicht in der Wohnung wart, habe ich mir auch noch keine Sorgen gemacht, ich dachte, ihr kauft noch was ein oder so. So gegen sieben wurde ich ungeduldig und habe versucht, dich zu erreichen. Bis eben habe ich gedacht, Emil ist mit dir gegangen   …«
    »Moment mal, Moment mal!«, schrie Wencke. »Er ist aber nicht mit mir gegangen. Und er ist nicht bei mir!« Ihr wurde so schlecht, sie hatte das Gefühl, ihr gesamtes Inneres wollte sich nach außen stülpen. »Wo ist Emil?«
    Die Polizistin sprang auf, stellte sich an Wenckes Seite und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Was ist passiert?«
    »Mein Sohn! Er ist   … verdammt noch mal, ich hab keine Ahnung, aber vielleicht ist er   … entführt worden!«
    Sie hörte Axel in den Telefonhörer rufen, aber ihr Arm war kraftlos nach unten gesackt, der einzige Muskel, der in diesem Moment funktionierte, war das Herz, und das schlug wie ein Presslufthammer, dröhnte durch ihren Körper, ließ sie bis in die Fingerspitzen vibrieren.
    Die Polizistin nahm ihr das Telefon ab. »Hallo? Hier ist Polizeiobermeisterin Ursula Liebrecht, Misburg. Hören Sie? Ihre Bekannte, Wencke Tydmers, wurde in einen Unfall verwickelt, deswegen ist sie bei uns auf der Dienststelle. Können Sie vorbeikommen – Waldstraße in Misburg, mit ’nem Navi gut zu finden   … Ja, wunderbar, das ist prima! Klar, um die Sache mit dem Sohn kümmern wir uns von hier aus, keine Sorge! Aber es wäre wichtig, dass Sie sofort kämen.« Sie blickte auf die zitternde Wencke. »Sie werden gebraucht.« Die Gelassenheit der Polizistin wirkte fast tröstlich, ihr freundliches Lächeln half Wencke dabei, langsam wieder einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen. »Ihr Freund ist schon unterwegs«, sagte sie, während sie den Hörer zur Seite legte. »Und in der Zwischenzeit könnten wir schon mal überlegen, was mit ihrem Sohn passiert sein könnte. Wie heißt er?«
    »Emil.«
    »Wie alt?«
    »Sechs Jahre.« Wencke zitterte. »Mein Gott, was ist   … Ich muss sofort   …«
    »Hören Sie. Jetzt und sofort können wir nur Fehler machen. Lassen Sie uns ruhig und überlegt an die Sache herangehen.« Als Wenckes Hände noch immer zuckten, als stünden sie unter Strom, legte die Polizistin die ihren darauf, drückte sie sanft, aber mit Nachdruck. »Erinnern Sie sich, was er heute Morgen anhatte, als er aus dem Haus gegangen ist?«
    Erinnerte Wencke sich? Heute Morgen, da war sie mit ihren Gedanken schon auf dem Weg in die Anwaltskanzlei gewesen, alles musste schnell gehen. Die Zeit hatte noch nicht einmal dafür gereicht, dass Emil und Axel sich anständig begrüßen konnten. Aber was hatte ihr Sohn angehabt? »Auf jeden Fall seine Sommerjacke, khaki, mit einem Tatoomuster auf dem Rücken. Und dunkelblaue Stoffschuhe   … Jeans? Ja, seine Jeans mit rotem Flicken auf dem rechten Knie.«
    »Mütze? Ranzen?«
    Wencke beschrieb alles so genau wie möglich, sah Emil vor sich, wie er sich auf dem Weg zum

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