Todesbraut
Ferne hatte sie die Rettungsaktion beobachtet und geistesgegenwärtig Polizei und Notarzt alarmiert.
Wencke hätte sich gern bei der Frau bedankt, doch dazu gab es gar keine Gelegenheit. Als man Kutgün Yıldırım in die Medizinische Hochschule gebracht und Wencke zu den wichtigsten Dingen polizeilich befragt hatte, war Taxi-Iris längst wieder auf der Straße unterwegs und ärgerte sich über ihre Fahrgäste.
In der kleinen Polizeidienststelle Misburg zeigte sich die zuständige, schon etwas ältere Kollegin, Polizeiobermeisterin Ursula Liebrecht, fürsorglich, lobte Wenckes Mut und Geistesgegenwart, bot ihr eine Gelegenheit zum Duschen, eine ausrangierte,trockene Uniform aus dem Schrank und eine Tasse Kaffee an. Als sich endlich die erste Gelegenheit ergab, zu Hause anzurufen, war es schon halb zehn und die Sonne längst untergegangen. Emil schlief hoffentlich tief und fest und Axel vertrieb sich wahrscheinlich die Zeit damit, ihre Wohnung zu inspizieren – oder zu bereuen, dass er überhaupt hergekommen war. Er setzte so viel aufs Spiel und sie ließ ihn warten. Natürlich war er sauer. Jedenfalls ging er nicht an den Festnetz-Apparat, obwohl sie es bis zum Ende durchklingeln ließ. Wencke fluchte leise.
»Keine Handynummer?«, fragte die nette POM Liebrecht, die vorhin Wenckes Aussage aufgenommen und dann eine Suchaktion nach diesem seltsamen Informanten in die Wege geleitet hatte – bislang jedoch ohne Erfolg.
»Die sitzt felsenfest im Mergelbruch. Ich hatte sie nur im Apparat gespeichert, nicht im Kopf …«
»Wir könnten ins Telefonbuch schauen …«
»Mein Bekannter ist Polizist – deshalb hat er natürlich eine Geheimnummer«, seufzte Wencke.
»Kann ich verstehen, hab ich auch. Aber vielleicht kennen Sie jemanden, der seine Handynummer weiß?«
Wencke nickte und wählte die wenigen noch im Gedächtnis verhafteten Nummern ihrer ehemaligen Kollegen aus Aurich. Fehlanzeige bei Pal und Britzke, es meldete sich nur der AB. Schließlich erreichte sie Greven, der sich freute, ihre Stimme zu hören, nach all den Jahren, sie aber in puncto Handynummer enttäuschen musste, die hätte er nicht griffbereit, die läge im Büro, zu dumm.
Wencke rieb sich mit den Händen über das Gesicht, sie hatte das Gefühl, sich selbst wach halten, ermutigen zu müssen. »Ich könnte seine Frau anrufen, aber da müsste ich die Festnetznummer erst heraussuchen.«
Die freundliche Uniformierte räumte bereitwillig ihren Platzvor dem Bildschirm. Wencke zögerte, bevor sie den Namen als Suchbegriff beim Online-Telefonbuch eingab. Was würde passieren, wenn sie Kerstin in der Leitung hatte? Was sollte sie fragen? Bislang hatten Axel und sie keine Silbe über diese Frau, über die Hochzeit und die neue Familie gesprochen, sie hatte keine Ahnung, wie das Verhältnis zwischen den beiden gestrickt war. Wusste Kerstin, wo ihr Mann gerade steckte? War sie wütend darüber? Oder freute sie sich für Axel, dass er eine alte Kollegin wiedertraf? Es war müßig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Fakt war, sie musste irgendwie an Axels Handynummer gelangen, damit er wusste, wo sie steckte.
Und damit er sie beruhigte, dass zu Hause alles in Ordnung war.
»Spangemann-Sanders?« Kerstins Stimme war noch immer so aufgeräumt, klar und weiblich wie damals. Irgendwie hatte Wencke gedacht, man könnte ihr anhören, was in der Zwischenzeit geschehen war. Doch natürlich war das Quatsch, Blinde verloren ihr Sehvermögen, aber nicht die Fähigkeit, in einem angenehmen Ton zu telefonieren. »Wer ist denn da?«
Wencke räusperte sich. »Wencke.« Verdammt, sie kiekste und krächzte wie ein heiserer Chorknabe im Stimmbruch.
»Ach, dich gibt es auch noch?« Sie hatte also keine Ahnung, wohin ihr Mann gefahren war.
Es folgten Sekunden wie Gummi. »Unkraut vergeht nicht.« Wie dämlich.
»Axel ist nicht da. Auswärtige Ermittlungen.« Wieder eine lange Pause. »Ich gehe mal davon aus, dass du ihn und nicht mich sprechen willst.«
»Ich habe seine Handynummer nicht mehr. Könntest du mal nachsehen …« So ein Mist … nachsehen … wie konnte sie nur so dämlich sein. »Sorry!«
»Hast du was zum Schreiben? Ich glaub, die Nummer hab ich im Kopf.«
Wenckes Hand zitterte, als sie die Nummer notierte. »Danke, Kerstin!«
»Ist alles in Ordnung mit dir? Du bist wieder in Deutschland, hörte ich. Wie geht es Emil?«
»Alles okay«, schaffte sie gerade noch, dann legte sie auf, völlig unhöflich und ohne
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