Todesbrut
mithilfe vieler Freiwilliger. Wir brauchen ein Flugzeug. Beschlagnahmen Sie eine Maschine, verdonnern Sie einen Piloten, uns zu helfen!«
»Ja, aber warum?«
Jens Hagen ärgerte sich über seine Frage. Er wusste natürlich, warum, doch es klang so ungeheuerlich.
»Wir können mit einem Flieger die Küste kontrollieren – solange es noch hell ist. Dann brauchen wir Scheinwerfer. Sonst schleicht sich in der Dunkelheit die Pest an Land.«
Jens Hagen fühlte sich Heinz Cremer maßlos unterlegen und er wollte ihn nicht zum Gegner haben – aber er befürchtete gleichzeitig, dass Cremer ihn auch deshalb in seine Pläne einband, weil er eine Rückversicherung brauchte. Wenn das alles hier einst vor Richtern und Presse bestehen musste, dann wäre er, der Polizist, im Ernstfall das Bauernopfer. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass Cremer, der erfolgreiche Architekt, ihn bedenkenlos opfern würde, um sich selbst zu retten. Er war einer dieser Menschen, die fürs Überleben geboren waren, ein Trick der Evolution, der dafür sorgte, dass die menschliche Spezies zwar Verluste erlitt, aber nicht ausgerottet wurde. Typen wie dieser Heinz Cremer überlebten immer. Das war der eigentliche Sinn ihres Daseins.
Jens Hagen wusste, dass er selbst nicht so war, aber umso mehr bewunderte er Cremer dafür.
Vor seinem inneren Auge lief ein schlimmer Film ab. Aus einer Cessna 172 schoss jemand mit einem Gewehr auf Menschen in einem Rettungsboot.
Jens Hagen schüttelte sich, als ob ihm kalt geworden wäre.
64 Der Flugplatz war inzwischen dichtgemacht worden. Sie ließen zwar noch jeden ausfliegen, aber keinen mehr rein. Borkum schottete sich so gut wie möglich ab.
Von den anderen ostfriesischen Inseln kamen ähnliche Meldungen. Juist und Norderney versuchten das Gleiche. Nirgendwo auf den Inseln war das Grippevirus bis jetzt offiziell registriert worden. So manche Ferienregion der Welt wurde immer wieder von Terrorakten erschüttert; Ostfriesland dagegen galt als sicher. Hier explodierten keine Autos, hier zogen keine randalierenden Gangs durch die Straßen, es gab keine korrupte Polizei und keine Selbstmordattentäter. Nun, da Teile der Welt im Chaos der Todesbrut zu versinken schienen und sich das Virus scheinbar ungehindert wie ein Waldbrand ausbreitete, erwiesen sich die ostfriesischen Inseln einmal mehr als Ort der Sicherheit, Ruhe und Gesundheit. Das Wort »Erholungsparadies« bekam eine ganz neue Bedeutung.
Holger Hartmann hatte seinen Durst mit drei Weizenbieren gelöscht und langsam löste sich der Krampf im Magen, der ihn seit Lars Kleinschnittgers Tod gequält hatte. Bier hatte ihm immer geholfen. Wie viele seiner Probleme hatte er mit Bier weggespült? Sein Vater behauptete, die Probleme kämen überhaupt erst durchs Trinken, aber der hatte eben auch überhaupt keine Ahnung … So dachte Holger Hartmann und bestellte sich noch ein Weizen.
Er hockte im Irischen Pub. Um ihn herum saßen ein paar Bewunderer. Sie hatten gehört, dass er bei den Helden dabei gewesen war, die die Ostfriesland III an der Landung gehindert hatten. Sie wollten unbedingt alles von ihm hören und er erzählte es bereitwillig. So, dachte er, müssen sich Popstars fühlen. Belagert von ihren Fans, die gar nicht genug von ihnen kriegen können.
Leider waren keine Frauen dabei, sondern nur junge Männer. Er hätte seine Geschichte lieber einer vollbusigen Blondine erzählt.
65 Benjo versuchte, sich auf die Insel zu konzentrieren und nicht auf das hypnotisierende Auf und Ab der Wellen.
Sie kamen vom Kurs ab. Wenn er sich nicht täuschte, waren sie schon gut einen Kilometer weit nach Westen abgetrieben worden. Sie steuerten das Boot nicht wirklich. Sie waren mehr ein Spielball der Wellen.
Benjo wollte nicht zu Margit oder Kai Rose gucken. Er schaffte es nicht einmal, die Kinder anzusehen. Er hatte nur noch ein Ziel vor Augen: Borkum. Die Insel, die sie retten musste, die Insel, auf der Chris versuchte, Hilfe zu organisieren.
Für Margit sah er atemlos gut aus, verwegen, ja übermütig. Wenn Kai nur etwas von ihm gehabt hätte, dachte sie, vielleicht wäre dann alles ganz anders gekommen. Sie war sich bewusst, dass sie ihm schon wieder die Schuld gab, dabei hatte sie in der Therapie gelernt, dass nur sie selbst für ihr Leben verantwortlich war und niemand sonst … Sie hatte das alles auch geglaubt, aber nun, mit ihrer halb toten Tochter im Arm, kamen ihr Zweifel.
Aber was sie zu Beginn einmal an Kai fasziniert hatte, das stieß sie
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