Todescode
damit abgefunden, dass Sarah kein Interesse daran hatte, Ärztin zu werden, doch sie war außerordentlich begabt in Naturwissenschaften – Leistungskurse an der Highschool, Informatikstudium mit Schwerpunkt Informationssicherheit am Caltech. Wieso nach dem Bachelor nicht Jura studieren? Mit dieser Kombination standen ihre alle Möglichkeiten offen. Und so hatten sie sich auf eine Art Kompromiss geeinigt.
Sie liebte ihre Eltern und wollte sie glücklich machen, doch in gewisser Weise verübelte sie ihnen auch ihren Statuswahn und dass sie sie benutzt hatten, um ihre eigenen Träume stellvertretend zu erfüllen. Dieser tiefsitzende Groll hatte ihren ersten echten Akt des Aufbegehrens zur Folge – die Beziehung zu Josh Marshall, der so amerikanisch war wie McDonald’s. Sie war im zweiten und er im vorletzten Studienjahr, als sie sich kennenlernten, und er war der erste Mann, mit dem sie ins Bett ging. Josh war ein netter Kerl, der aus einer netten Familie stammte und eine rosige Zukunft vor sich hatte, aber er war kein Iraner, und obwohl ihre Eltern sie nicht davon abhalten konnten, wusste Sarah, dass sie insgeheim entsetzt waren. Und das war gut so. Endlich tat sie etwas, das
sie
wollte.
Die Beziehung hielt, bis Josh seinen Abschluss gemacht hatte und in Tuscon beim Rüstungskonzern Raytheon in der Planungsabteilung für Raketensysteme anfing. In dem Sommer danach sahen sie sich noch einige Male, doch als für Sarah im Herbst die Vorbereitung auf die Abschlussprüfungen begann, sagte sie ihm, sie hätte einfach zu viel zu tun, um die Beziehung weiterzuführen. Sie tat so, als täte ihr das unendlich leid, aber in Wahrheit langweilte er sie schon länger. Obwohl Josh eigentlich ein gesundes Selbstbewusstsein besaß, hatte er sich durch sie immer eingeschüchtert gefühlt und war dementsprechend unsicher gewesen. Fast so, als hätte er nie richtig geglaubt, dass er sie auch verdiente, als wäre sie aus reiner Gefälligkeit mit ihm zusammen. Sarah hatte immer das Gefühl gehabt, dass die Beziehung nach ihren Bedingungen lief, dass letztlich sie entschied, wo es langging, was sich am Ende auch bestätigte.
Das Muster hatte sich an der Uni in Berkeley fortgesetzt. Kaum hatte sie mit dem Jurastudium angefangen, da ließ sie sich mit einem älteren Kommilitonen namens John Cole ein. Und später, als John seinen Abschluss machte und eine Stelle beim Justizministerium in Washington antrat, nutzte Sarah, die sich in der neuen Beziehung mittlerweile genauso langweilte wie in der davor, erneut die Gelegenheit zur Trennung. Danach fragte sie sich nach ihren Beweggründen. Beide Männer waren gute Partner gewesen, zumindest nach landläufigen Kriterien. Aber beide waren auch garantiert inakzeptabel für ihre Eltern gewesen und beide hatten von vornherein ein Verfallsdatum gehabt. Wählte sie sich unbewusst jemanden aus, der auf Dauer keine Chance bei ihr hatte? Und wenn ja, wieso?
Hatte sie die beiden geliebt? Sie hatte es ihnen jedenfalls gesagt, nachdem sie ihr jeweils ihre Liebe gestanden hatten. Doch obwohl sie eine tiefe Zuneigung empfunden hatte, vor allem für Josh, der schließlich ihr Erster gewesen war, wusste sie nicht, ob sie das wirklich Liebe nennen konnte. Vielleicht hatte sie Angst, etwas zu kosten, das einen verborgenen Appetit wecken könnte, einen Appetit, den sie in sich spürte, aber aus irgendeinem Grund zu leugnen versuchte.
Der Sex war dennoch gut gewesen. Jedenfalls gut genug. Schön, sie hatte bei keinem von beiden zum Orgasmus kommen können, aber darauf kam es eigentlich auch nicht an. Schon allein die Nähe war schön, und wenn sie mal richtig kommen wollte, konnte sie ja die Badezimmertür abschließen, ein heißes Bad nehmen, die Augen schließen und sich so berühren, wie sie es brauchte. In ihren Phantasien war sie dann hinten in einem Hörsaal oder von Leuten umgeben in einer Bar oder auf einer Party oder spätabends in der Bibliothek. Es war immer ein Mann dabei, dessen Gesicht verschwommen war, von dem sie aber wusste, dass er sie beobachtete, und der in seinem Blick etwas Anerkennendes und zugleich Arrogantes hatte. Sie provozierte ihn, wollte wissen, wer er war, was ihm einfiele, sie so anzusehen. Er lächelte dann und sagte:
Ich weiß, was du willst.
Sie lachte über seine Überheblichkeit und sagte etwas wie:
Ach, ja? Wirklich?
Das Lachen sollte ihn abschrecken, aber das klappte nicht, und sein Lächeln wurde noch breiter, und sie spürte, dass er sich insgeheim über sie lustig
Weitere Kostenlose Bücher