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Todescode

Todescode

Titel: Todescode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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perfekteres Ende eines schon perfekten Tages hätte es nicht geben können.
    Als er danach in die Einfahrt bog, sah er erstaunt, dass im Haus einige Lampen brannten. Er warf einen Blick auf die Digitaluhr am Armaturenbrett. Es war kurz vor zwei Uhr morgens. Was war denn da los?
    Dann fiel ihm auf, dass der Wagen seiner Eltern weg war. Ach du Scheiße. War Katie doch nicht pünktlich nach Hause gekommen? War sein Dad losgefahren, um sie zu holen? Falls ja, konnte Ben sich auf was gefasst machen.
    Er ging ins Haus und schlich die Treppe hoch. Oben standen alle Türen auf. In Alex’ Zimmer und im Schlafzimmer seiner Eltern brannte Licht.
    »He, wieso sind denn alle auf?«, rief er.
    Keine Antwort. Er steckte den Kopf in Alex’ Zimmer. Niemand da. Die Bettdecke war zurückgeschlagen. Alex machte sein Bett immer ganz penibel, also musste er heute Abend schon drin geschlafen haben, bis …
    »Wo seid ihr?«, rief Ben und ging zum Schlafzimmer seiner Eltern. Es befand sich im gleichen Zustand wie Alex’ Zimmer, das Licht an, die Betten benutzt.
    »Das gibt’s doch nicht!«, sagte er laut. Er war jetzt unruhig und redete sich ein, dass es keinen Grund dafür gab.
    Er ging den Flur hinunter zu Katies Zimmer und schaltete das Licht an. Das Bett war gemacht.
    Scheiße, Katie war nicht nach Hause gekommen.
    Nein, das wusste er nicht, nicht mit Sicherheit. Er wusste nur mit Sicherheit, dass sie nicht ins Bett gegangen war, bevor …
    Bevor was? Bevor sie alle mitten in der Nacht ins Auto gesprungen waren und sich aus dem Staub gemacht hatten.
    Aber wenn Katie angerufen hatte, weil sie abgeholt werden wollte, warum waren dann alle mitgefahren?
    Plötzlich schwante ihm nichts Gutes.
    Er ging nach unten in die Küche. Kein Zettel, nichts. Alles blitzsauber, das Geschirr weggeräumt. Irgendwie fand er diese Sauberkeit, diese Ordnung beunruhigend. Dadurch wurde das Fehlen der anderen noch absurder.
    »Scheiße«, sagte er laut. Er hatte keine Ahnung, was er machen sollte.
    Das Telefon klingelte. Er fuhr herum und starrte es einen Moment lang an. Er merkte, dass er Angst hatte, dranzugehen.
    Es klingelte wieder.
    Er zögerte, spürte, dass er in einer Art heiklem Zwischenstadium gefangen war, sein Leben mit seinen vermeintlichen Sicherheiten auf der einen Seite, das Ende von alledem auf der anderen. Auf der anderen Seite dieses klingelnden Telefons.
    Es klingelte ein drittes Mal.
    Na los, geh ran, verdammt.
    Aber er tat es nicht.
    Es klingelte wieder.
    Er dachte,
Und wenn sie auflegen
?
    Seine Erstarrung löste sich. Er sprang zum Telefon und nahm den Hörer ab. »Hallo«, sagte er, mit trockenem Mund.
    »Ben.« Es war sein Dad. »Gott sei Dank. Komm sofort ins Stanford-Krankenhaus, in die Notaufnahme. Katie hatte einen Unfall.«
    Ein Frösteln durchlief ihn. Er wollte schlucken, konnte aber nicht. »Was? Was ist passiert?«
    »Komm erst mal her. Ja?«
    »Okay. Ich fahr sofort los.«
    »Fahr vorsichtig«, sagte sein Vater, und irgendwie spürte Ben hinter den zwei simplen Worten einen bitteren Vorwurf.
    Der Rest der Nacht war verschwommen; die Tage danach ein Alptraum. Seine Eltern machten ihm offen Vorwürfe. Alex’ stille, anklagende Blicke waren schlimmer.
    Am schlimmsten war der Morgen am Tag der Beerdigung. Er war bereits völlig am Ende vor Trauer und Schuldgefühlen und Reue. Er saß am Schreibtisch in seinem Zimmer, starrte die Wand an und ließ den Abend immer und immer wieder Revue passieren, stellte sich zahllose andere Abläufe vor, stellte sich vor, was er alles hätte anders machen können, anders machen sollen.
    Es klopfte an der Tür. »Ja«, rief er apathisch.
    Es waren seine Eltern. Wie viele Stunden waren seit Katies Tod vergangen, achtundvierzig? Und die beiden sahen aus, als hätten sie seitdem keine Minute geschlafen. Als wäre irgendwas in ihnen zerbrochen.
    Sie setzten sich ihm gegenüber auf die Bettkante. »Ben«, sagte sein Dad. »Was wir in der Nacht gesagt haben … das war nicht richtig. Es … stimmte nicht.«
    Ben schüttelte den Kopf, traute sich nicht, etwas zu sagen.
    »Wir sind … am Boden zerstört, Schätzchen, das weißt du«, sagte seine Mom. Sie fing an zu weinen, schaffte es aber, weiterzureden. »Wenn so etwas passiert, kann es vorkommen, dass man anderen die Schuld gibt, selbst den Menschen, die einem am nächsten stehen. Wenn man jemandem die Schuld gibt, ist es nämlich leichter zu glauben, dass es nicht so hätte kommen müssen.« Ein Beben hatte sich in ihre Stimme geschlichen, und

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