Todescode
sie stockte, holte tief Luft.
»Aber das stimmt nicht«, fuhr sie fort, und jetzt wurde ihre Stimme heller. »Nicht alles lässt sich kontrollieren. Unfälle … passieren manchmal einfach, Schatz, und es ist nicht deine Schuld.«
Sie weinte jetzt stärker, blickte ihn unter Tränen mit flehenden Augen an.
»Wenn jemand Schuld hat, dann ich«, sagte sein Dad. »Ich hab mich nicht klar ausgedrückt mit dem Nachhausekommen. Du hast nichts falsch gemacht, Ben, und es war falsch von uns, dir Vorwürfe zu machen.«
Ben sah sie an. Er verstand, was sie vorhatten. Er konnte sich sogar das Gespräch vorstellen, das sie vorher geführt hatte:
Wir müssen ihn vor Schuldgefühlen bewahren. Wir dürfen ihn nicht damit belasten, auch wenn es stimmt. Er ist zu jung.
Das Problem war, dass sie die Schuldgefühle hundertmal schlimmer machten, gerade weil sie ihn davor bewahren wollten. Ihre Vorwürfe hatten ihn wütend gemacht, und diese Wut hatte sich zumindest teilweise wie ein Schutz ausgewirkt. Jetzt, wo die Vorwürfe wegfielen, die Wut sich auflöste, brach die Wahrheit mit einer neuen und furchtbaren Klarheit hervor.
Denn tief im Innern hatte er gewusst, was sein Vater wirklich wollte. Der alte Herr traute Wally nicht und wollte, dass Ben – Ben persönlich – Katie sicher nach Hause brachte. Vielleicht hatte er sich nicht ganz präzise ausgedrückt, weil er nicht herrisch oder überängstlich wirken wollte, aber genau das hatte er gemeint. Ben hatte einfach nach einem Hintertürchen gesucht, mehr nicht, weil es sein Abend gewesen war und weil er der siegreiche Held war und weil Larissa Lee mit ihm ins Bett wollte. Er hatte es gewusst, aber so getan, als hätte er es nicht gewusst.
Ben wollte ihnen sagen, nein, es war nicht ihr Fehler, sein Dad hatte sich klar ausgedrückt, Ben hatte es genau verstanden, aber nicht hören wollen. Es zugeben, zu seiner Verantwortung stehen, das war das einzig Richtige, so schwer es ihm auch fiel.
Er versuchte, etwas zu sagen, aber er tat es nicht. Vielleicht hatte er Angst zu sprechen, Angst, dass er dann die Beherrschung verlieren würde. Oder dass er was Falsches sagen und alles nur noch schlimmer machen würde. Also sagte er nichts. Seine Eltern weinten weiter. Schließlich stand seine Mutter auf und ging, und sein Dad folgte ihr.
Ein Teil von ihm sah ein, dass sie das Gespräch jetzt zu Ende führen sollten, weil es sonst nie dazu kommen würde. Doch ein anderer Teil von ihm flüsterte, dass seine Eltern schon genug verkraften mussten; er sollte sie eine Weile schonen. Später würde er noch genug Gelegenheit haben, seine Schuld zuzugeben, irgendwann in der Zukunft, wenn die Verwirrung und der Schmerz ein klein wenig nachgelassen hatten.
Und er hatte auf die zweite Stimme gehört. Genau wie er auf Katie gehört hatte, als sie zu ihm sagte:
Nein, er ist nüchtern.
Er hatte auf das gehört, was er hatte hören wollen.
Gott, zwei Wendepunkte kurz hintereinander. Und er hatte beide Male die falsche Richtung eingeschlagen.
Wieso waren solche Wendepunkte nicht vorher ausgeschildert?
Achtung, tödliche Kurve.
Irgendwas in der Art. Irgendwas, das einen warnen könnte: He, die scheinbar banale Entscheidung, vor der du da stehst, dabei geht’s in Wirklichkeit um dein ganzes beschissenes Leben.
Ben seufzte und schüttelte den Kopf. Dann ging er nach draußen, um sich ein Internetcafé und ein öffentliches Telefon zu suchen.
14 Tipps für Anfänger
Es klopfte an Alex’ Tür. Wanda, die Empfangssekretärin, steckte den Kopf herein.
»Alex, ich hab da jemanden am Telefon, der Sie sprechen möchte, aber seinen Namen nicht sagen will. Er hat darauf bestanden, dass ich Sie persönlich hole, damit Sie den Anruf vorn am Empfang entgegennehmen. Was soll ich tun?«
Alex dachte:
Was soll der Quatsch?
Und dann:
Ben.
Aber wieso rief er über die Zentrale an? Woher hatte er überhaupt die Nummer?
»Alles klar, ich komme«, sagte er, als sei es das Normalste von der Welt.
Er folgte Wanda zu ihrem Schreibtisch. Wanda drückte einen Knopf und reichte ihm den Hörer.
»Hier spricht Alex«, sagte er.
»Ich hab deine Nachricht erhalten.« Bens Stimme.
Eine Pause trat ein. Alex sagte: »Woher –«
»Gib mir eine Nummer, unter der ich dich anrufen kann, eine, die nichts mit dir zu tun hat. Die Frau, die eben am Telefon war, die hat doch bestimmt ein Handy. Frag sie, ob sie es dir leiht.«
Alex fragte Wanda, ob er sich ihr Handy kurz ausborgen könne. Sie nannte ihm die Nummer, und er gab sie
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