Todesdämmerung
die Zulassungsschilder abnahm und sie in den Kofferraum warf. Er schraubte die Nummernschilder von einem in der Nähe parkenden Toyota ab und brachte diese an dem Ford an.
Wenn sie ein wenig Glück hatten, würde der Besitzer des Toyota erst morgen oder vielleicht noch später bemerken, daß seine Nummernschilder verschwunden waren, und sich dann vielleicht nicht die Mühe machen, bei der Polizei Meldung zu erstatten, wenigstens nicht gleich. Jedenfalls würde die Polizei wegen gestohlener Nummernschilder keine Fahndungsmeldung ausgeben, so wie sie das tun würde, wenn der ganze Wagen gestohlen wurde. Man würde nicht jeden Polizisten im ganzen Staat nach zwei Nummernschildern suchen lassen und würde vermutlich auch dieses kleine Vergehen nicht mit dem wesentlich schwerwiegenderen Diebstahl des Ford in Verbindung bringen. Sie würden den Diebstahl der Nummernschilder einfach als einen Akt von Vandalismus melden. Unterdessen würde der gestohlene Ford neue Nummernschilder und eine neue Identität haben und damit praktisch aufhören, ein heißer Wagen zu sein.
Sie verließen Ventura in nördlicher Richtung und erreichten Santa Barbara um 21 Uhr 50 Dienstag nacht.
Santa Barbara war einer der Lieblingsorte Charlies, wenn es darum ging auszuspannen, weil die Arbeit ihn sonst erdrückt hätte. Gewöhnlich stieg er entweder im Biltmore oder im Montecito Inn ab. Diesmal freilich wählte er ein etwas schäbigeres Motel, die Wile-Away Lodge, am östlichen Ende der State Street. In Anbetracht seiner bekannten Vorliebe für die schönen Dinge des Lebens war dies so ziemlich der letzte Ort auf der Welt, wo jemand nach ihm suchen würde.
Es gab ein Apartment mit Küche, und Charlie mietete es für eine Woche, trug sich in der Gästeliste unter dem Na men Enoch Flint ein und bezahlte im voraus in bar, um dem Angestellten keine Kreditkarte zeigen zu müssen.
Das Zimmer hatte türkisfarbene Vorhänge, einen orangefarbenen Teppichboden, schreiend purpur und gelb gemu sterte Bettdecken; der Dekorateur mußte von einem höchst knappen Budget eingeengt gewesen sein und alles gekauft haben, was innerhalb gewisser Preisgrenzen zur Verfügung stand. Die Matratzen der zwei Betten waren zu weich und durchgelegen. Dann gab es noch eine Couch, aus der man ein drittes Bett machen konnte, aber das wirkte noch weniger bequem. Das Mobiliar paßte überhaupt nicht zusammen, war ziemlich abgenutzt. Das Badezimmer zeichnete sich durch einen vom Alter vergilbten Spiegel, eine Menge zersprungener Bodenfliesen und einen asthmatisch ächzenden Ventilator aus. In der Kochnische gab es vier Stühle und einen Tisch, einen Ausguß mit tropfendem Wasserhahn, einen zerbeulten Kühlschrank, einen Herd, billige Teller, noch billigeres Besteck und eine elektrische Kaffeemaschine mit ein paar Päckchen Gratiskaffee, Zucker und Milchpulver. Viel war es nicht, aber immerhin sauberer, als sie erwartet hatten.
Während Christine Joey zu Bett brachte, bereitete Charlie eine Kanne koffeinfreien Kaffee zu.
Als sie ein paar Minuten später in die Küche kam, sagte Christine: »Mmmm, das riecht ja himmlisch.«
Er füllte zwei Tassen.
»Wie geht's Joey?«
»Der war schon eingeschlafen, ehe ich ihn ganz zugedeckt hatte. Der Hund liegt mit ihm auf dem Bett; normalerweise erlaube ich das nicht, aber zum Teufel, ich denke, jeder Tag, der mit einem Bombenangriff beginnt und von da ab immer schlimmer wird, ist ein Tag, wo man auch einen Hund ins Bett lassen darf.«
Sie saßen am Küchentisch an einem Fenster, das den Ausblick auf das eine Ende des Motelparkplatzes und einen kleinen, von einem schmiedeeisernen Zaun umgebenen Swimmingpool bot. Der nasse Asphalt und die geparkten Wagen wurden vom orangefarbenen Neonlicht des Motelzeichens beleuchtet. Der Sturm war gerade wieder einmal dabei, etwas abzuflauen.
Der Kaffee war gut und ihr Gespräch noch besser. Sie re deten über alles mögliche, was ihnen in den Sinn kam - Politik, Filme, Bücher, Urlaubsorte, Arbeit, Musik, mexikanisches Essen — alles außer Grace Spivey und das Zwielicht. Es schien zwischen ihnen eine unausgesprochene Überein kunft zu geben, nicht über ihre gegenwärtigen Probleme zu reden. Sie brauchten dringend Ablenkung.
Aber für Charlie war ihr Gespräch viel mehr als das. Es war eine Chance, etwas über Christine zu erfahren. Mit der zwanghaften Neugierde eines verliebten Mannes wollte er je de Einzelheit ihrer Existenz erfahren, jeden Gedanken, jede Meinung, ganz gleich, wie alltäglich sie
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