Todesdämmerung
sechs Jahre alt war, war man nicht immer imstande, zwischen echten und imaginären Gefahren zu unterscheiden. In dem Alter glaubte man an Das -Ungeheuerdas -im-Schrank-lebt, und war überzeugt, daß sich unter dem Bett etwas noch Schlimmeres versteckt hielt. Für Joey machte es wahrscheinlich ebensoviel Sinn, nach einem Be senstiel am Himmel Ausschau zu halten wie nach weißen Ford-Lieferwagen auf der Straße.
Chewbacca hatten sie draußen im Wagen gelassen. Als sie ihr Frühstück beendet hatten, brachten sie ihm eine Portion Schinken mit Ei, die er begierig verschlang.
»Gestern abend hat er Hamburger bekommen und heute morgen Schinken mit Ei«, sagte Christine. »Wir müssen uns einen Laden suchen und dort richtige Hundenahrung kaufen, ehe dieser Köter auf die Idee kommt, daß er immer so gut zu fressen bekommt.«
Sie gingen wieder Kleider und persönliche Gegenstände einkaufen, diesmal in einem Shoppingcenter an der State Street. Joey probierte ein paar Kleidungsstücke, aber gleichgültig und ohne die Begeisterung, die er gestern an den Tag gelegt hatte. Er sagte kaum etwas und lächelte überhaupt nicht. Christine machte sich offensichtlich Sorgen um ihn. Und Charlie auch.
Sie waren vor dem Mittagessen mit Einkaufen fertig. Zuletzt kauften sie noch ein kleines elektronisches Gerät. Es war so groß wie ein Päckchen Zigaretten, ein Produkt der paranoiden siebziger und achtziger Jahre, für die es in einer vertrauensseligeren Zeit keine Kunden gegeben hätte: ein Detektor, der einem sagte, ob das Telefon von einem Recorder oder sonst einem Peilgerät überwacht wurde.
In einer Telefonzelle am Eingang zu Sears schraubte Charlie die Hörmuschel aus dem Apparat und schraubte eine andere Muschel auf, die er mit dem Detektor gekauft hatte. Er nahm die Sprechmuschel ab und schloß mit dem Wagenschlüssel den Stromkreis kurz, der es normalerweise unmö glich machte, ohne Einschaltung der Vermittlung ein Ferngespräch zu führen, und wählte Klemet-Harrison in Costa Mesa. Wenn das Gerät angezeigt hätte, daß die Leitung angezapft war, hätte er den Bruchteil einer Sekunde nach dem Zustandekommen der Verbindung auflegen und damit höchst wahrscheinlich die Leitung unterbrechen können, ehe jemand auch nur hätte feststellen können, daß ein Anruf aus einer anderen Gebührenzone eintraf.
Es klingelte zweimal, dann klickte es in der Leitung.
Das Meßgerät, das Charlie in der Hand hielt, gab durch nichts zu erkennen, daß die Leitung angezapft war.
Aber statt Sherry Ordways vertrauter Stimme meldete sich das Tonband einer Telefongesellschaft: »Die von Ihnen gewählte Nummer ist augenblicklich nicht erreichbar. Bitte wählen Sie die Auskunft und...«
Charlie legte auf.
Probierte es erneut.
Dieselbe Antwort.
Mit der Vorahnung einer drohenden Gefahr wählte er die Nummer von Henry Rankins Wohnung. Der Hörer am anderen Ende wurde beim ersten Klingeln abgenommen, und wieder zeigte das Gerät nichts an, aber diesmal meldete sich kein Tonband.
»Hallo?« sagte Henry.
Charlie sagte: »Ich bin's, Henry. Ich habe gerade im Büro angerufen...«
»Ich habe hier am Telefon gewartet und damit gerechnet, daß du über kurz oder lang anrufen würdest«, sagte Henry. »Hier gibt es Ärger, Charlie. Eine ganze Menge Arger.«
Von außerhalb der Telefonzelle konnte Christine nicht hören, was Charlie sagte, aber sie konnte erkennen, daß etwas Schlimmes passiert war. Als er schließlich auflegte und die Tür der Zelle öffnete, war sein Gesicht aschfahl.
»Was ist passiert?« fragte sie.
Er sah zu Joey hinüber und meinte: »Nichts ist passiert. Ich habe mit Henry Rankin gesprochen. Die arbeiten immer noch an dem Fall, aber bis jetzt gibt es nichts Neues zu melden.«
Er log um Joeys willen, aber der Junge spürte es ebenso wie Christine, und er sagte: »Was hat sie jetzt gemacht? Was hat die Hexe jetzt gemacht?«
»Nichts«, sagte Charlie. »Sie kann uns nicht finden, also hat sie in Orange County einen Koller bekommen. Das ist alles.«
»Was ist ein Koller?« wollte Joey wissen.
»Mach dir darüber keine Sorgen. Wir sind okay. Alles läuft wie geplant. Jetzt gehen wir zum Wagen zurück, suchen uns einen Supermarkt und versorgen uns mit Lebensmitteln.«
Während sie durch das Shoppingcenter gingen und auch nachher auf dem Weg zum Wagen, sah sich Charlie mehrmals unruhig um und ließ dabei eine innere Spannung erkennen, die er den ganzen Vormittag nicht gezeigt hatte.
Christine hatte angefangen, seinen
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