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Todesdämmerung

Todesdämmerung

Titel: Todesdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Waagschale sich noch nicht zum Teufel hin gesenkt, aber das Gleichgewicht war bereits labil.

68
    Christine zog dem Jungen die eisverkrustete Skimaske herunter, und Charlie mußte sich abwenden, als das Gesicht des Jungen sichtbar wurde.
    Ich habe versagt, dachte er.
     
    Verzweiflung durchflutete ihn und ließ Tränen in seine Augen treten.
    Er saß auf dem Boden, den Rücken an einem Baum. Er lehnte den Kopf an den Stamm, schloß die Augen, atmete ein paarmal tief, versuchte nicht mehr zu zittern, versuchte positiv zu denken, versuchte sich zu überzeugen, daß alles gut werden würde, und schaffte es nicht. Er war sein ganzes Leben lang Optimist gewesen, selbst in Vietnam, und diese jüngste Bekanntschaft mit dem Zweifel, der die Seele erschütterte, war bedrückend.
    Das Tylenol und der Heilpuder hatten die Schmerzen, die er litt, nur wenig gelindert, aber selbst jene minimale Erleichterung fing an zu verebben. Der Schmerz in seiner Schulter nahm wieder an Stärke zu und fing an, nach außen zu kriechen, so wie vorher, quer über seine Brust, den Hals hinauf und in seinen Kopf.
    Christine redete leise und aufmunternd auf Joey ein, obwohl ihr in Wirklichkeit bestimmt mehr danach gewesen wäre, über den Anblick, den er bot, zu weinen, so wie Charlie das getan hatte.
    Er richtete sich innerlich auf und sah dann den Jungen wieder an.
    Das Gesicht des Kindes war rot, verquollen und von einem Ausschlag verformt, den die brutale Kälte erzeugt hatte. Seine Augen waren fast zugeschwollen; an den Rädern waren sie mit einer klebrigen, schleimartigen Substanz verkrustet, ebenso seine Wimpern. Die Nase war ihm fast zu geschwollen, also atmete er durch den Mund, und seine Lippen waren aufgesprungen, geschwollen und bluteten. Der größte Teil seines Gesichts war wie im Zorn gerötet, aber zwei Flecken auf seinen Wangen und einer auf seiner Nasenspitze waren grauweiß, was möglicherweise auf eine Erfrierung hindeutete, obwohl Charlie hoffte, daß dem nicht so war.
    Christine sah Charlie an; man konnte die Bedrückung an ihren gequälten Augen ablesen, wenn auch ihrer Stimme nichts anzumerken war. »Okay. Wir müssen weiter. Müssen Joey aus dieser Kälte herausbringen. Wir müssen diese Höhlen finden.«
    »Ich sehe nirgends eine Spur von ihnen«, sagte Charlie.
    »Sie müssen in der Nähe sein«, sagte sie. »Brauchst du Hilfe beim Aufstehen?«
    »Ich schaffe es schon«, sagte er.
    Sie hob Joey auf. Der Junge hielt sich nicht an ihr fest. Seine Arme hingen schlaff herunter. Sie sah zu Charlie hinüber.
    Charlie seufzte, packte den Baum und stand mühsam auf, selbst überrascht darüber, daß er es schaffte.
    Aber noch überraschter war er, als eine Sekunde darauf Chewbacca auftauchte, in Schnee und Eis gehüllt, mit herunterhängendem Kopf, ein wandelndes Bildnis des Elends. Als er den Hund zuletzt draußen auf der Wiese gesehen hatte, war Charlie sicher gewesen, daß das Tier zusammenbrechen und im Sturm sterben würde.
    »Mein Gott«, sagte Christine, als sie den Hund sah, und blickte ebenso verblüfft wie Charlie.
    Es ist wichtig, daß der Hund durchkommt, dachte Charlie - das bedeutet, daß wir alle überleben werden. Er gab sich redliche Mühe, sich selbst zu überzeugen.
    So wie alles für sie gelaufen war, dachte Christine, würden sie die Höhlen nicht finden und einfach durch den Wald irren, bis sie vor Erschöpfung und Kälte zusammenbrachen. Aber endlich gönnte ihnen das Schicksal auch ein wenig Glück, und sie fanden das, was sie suchten in weniger als zehn Minuten.
    Der Baumbestand wurde in der Umgebung der Höhlen dünner, weil das Land extrem felsig wurde. Es stieg in unregelmäßigen steinernen Stufen an, in Buckeln und Hügeln und Simsen. Weil weniger Bäume wuchsen, fand mehr Schnee seinen Weg hierher; unten am Abhang und an vie len Stellen weiter oben gab es riesige Wehen, wenn ein schmaler Sims dem Schnee Platz bot. Aber hier pfiff auch der Wind heftiger, und so wurden große Felsflächen vom Schnee freigefegt. Sie konnte in den unteren Formationen die finsteren Mündungen von drei Höhlen erkennen, die sie und Charlie vielleicht kletternd erreichen konnten, und dann gab es weiter oben noch ein halbes Dutzend, aber die waren außer Reichweite. Vielleicht existierten auch noch mehr Öffnungen, die jetzt verschlossen und versteckt wa ren, weil dieser ganze Talabschnitt wie eine Wabe aus Tunnels, Höhlen und Kavernen zu bestehen schien.
    Sie trug Joey zu einer Ansammlung von Felsbrocken unten am Hang und

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