Todesdämmerung
jetzt war ein Feuer lebensnotwendig, weil sie keine Schlafsäcke hatten, um die nächtliche Kälte abzuwehren.
Sie machte sich keine Sorgen, daß der Rauch sie etwa verraten könnte. Der Wald würde ihn verbergen, und sobald er einmal über die Bäume aufstieg, würde er in den weißen wirbelnden Röcken des Sturmes untergehen. Außerdem würden Spiveys Fanatiker mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Südwesten suchen, am Ende des Tales, das wieder in die Zivilisation führte.
Dann gab es in dem Raum noch etwas, das ihn attraktiv machte. Eine Wand war mit einer zwei Meter hohen Zeichnung dekoriert, dem indianischen Totem eines Bären, vielleicht eines Grisly. Die Zeichnung war mit irgendeiner korrodierenden gelben Farbe in den Fels geätzt. Sie war entweder primitiv oder höchst stilisiert; Christine verstand nicht genug von Indianertotems, um diese feine Unterscheidung treffen zu können. Das einzige, was sie mit Sicherheit wußte, war, daß Zeichnungen wie diese gewöhnlich dazu bestimmt waren, den Insassen der Höhle Glück zu bringen; das Bild des Bären verkörperte vermutlich einen Geist, der ihnen Schutz bieten würde. Zunächst schien ihr das gut. Sie und Charlie und Joey brauchten allen Schutz, den sie bekommen konnten. Aber als sie sich dann einen Augenblick Zeit nahm, um den schwefelgelben Bären zu studieren, hatte sie das Gefühl, daß an ihm etwas Drohendes war. Das war natürlich lächerlich und nur auf ihren labilen Gemütszustand zurückzuführen, denn es war ja nichts außer einer Zeichnung auf Stein. Dennoch entschied sie bei nochmaligem Überlegen, daß sie eine düstere graue Wand an Stelle des Totems vorgezogen hätte.
Aber sie würde keine andere Höhle suchen, nur weil ihr in dieser die Dekoration nicht gefiel. Die natürliche Feuerstelle wog wesentlich schwerer als der Kunstgeschmack des letzten Bewohners. Wenn sie ein Feuer hatten, das ihnen Wärme und Licht lieferte, würde die Höhle fast ebensoviel Unterschlupf wie die Hütte bieten, die sie verlassen hatten. Sie würde natürlich nicht so behaglich sein, aber im Augenblick war Behaglichkeit für sie bei weitem nicht so wichtig wie die Sorge, ihren Sohn, Charlie und sich selbst am Leben zu halten.
Obwohl sie sowohl als Stuhl als auch als Bett nur den Stein boden zur Verfügung hatten, war Charlie von der Höhle begeistert; für den Augenblick erschien sie ihm luxuriöser als jede Hotelsuite, in der er sich je aufgehalten hatte. Nicht mehr vom Wind und dem Schnee gepeinigt zu werden, war ein Segen, der mit nichts zu vergleichen war.
Mehr als eine Stunde lang sammelte Christine trockenes Holz und Äste, um damit ein Feuer zu machen, das sie bis zum Morgen in Gang halten konnte. Immer wieder kehrte sie mit neuem Brennstoff zur Höhle zurück, errichtete einen Stapel mit größeren Holzstücken und einen zweiten mit den kleineren Asten, die sie zum Anzünden brauchen würde.
Charlie staunte über ihre Energie. War es möglich, daß allein der Instinkt einer Mutter, das Leben ihres Kindes zu schützen, solches Durchhaltevermögen erzeugte? Eine andere Erklärung schien es nicht zu geben. Eigentlich hätte sie schon lange vor Erschöpfung zusammenbrechen müssen.
Er wußte, daß er — um die Batterie zu schonen — die Taschenlampe eigentlich jedesmal ausschalten sollte, wenn Christine hinausging, und sie erst wieder einschalten dürfte, wenn sie mit Holz zurückkam. Aber er ließ sie trotzdem brennen, weil er Angst hatte, Joey könnte nachteilig darauf reagieren, in völliger Dunkelheit dazuliegen.
Der Zustand des Jungen war besorgniserregend. Sein Atem ging stockend und gequält, und er lag reglos und stumm neben seinem ebenso erschöpften Hund.
Während er dem unregelmäßigen Atem des Jungen lauschte, sagte sich Charlie, daß es ein gutes Omen war, daß sie die Höhle gefunden hatten, ein Hinweis darauf, daß ihr Glücksstern wieder am Aufsteigen war, daß sie in ein oder zwei Tagen ihre Kräfte zurückgewinnen und dann zum See hinuntergehen würden. Aber eine andere, weniger optimi stische innere Stimme stellte die bohrende Frage, ob die Höhle nicht etwa ein Grab war. Und obwohl er sich mit einer so deprimierenden Möglichkeit nicht auseinandersetzen wollte, konnte er sie auch nicht ganz verdrängen.
Er lauschte auch dem beständigen Tropfen des Wassers in einer danebenliegenden Höhle. Die kalten Steinwände und Hohlräume verstärkten das schwache Geräusch und ließen es fremdartig und drohend erscheinen, wie
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