Todesdämmerung
mit Joey gescherzt hatte.
Das flackernde Licht der Flammen war hypnotisch... Aber jedenfalls sollte jemand Wache halten.
Nur ein kurzes Nickerchen.
Hexen...
Jemand... sollte...
Es war einer jener Alpträume, in denen sie wußte, daß sie schlief, wußte, daß das, was geschah, nicht wirklich war, aber das machte es nicht weniger beängstigend. Sie träumte, daß alle Höhlen in der Talmauer zu einem komplizierten Labyrinth verbunden waren und daß Grace Spivey und ihre religiösen Terroristen von anderen Kavernen weiter hinten am Berg in diese ganz spezielle Höhle eingedrungen waren.
Sie träumte, daß sie ein Menschenopfer vorbereiteten und daß Joey dieses Opfer war. Sie versuchte, sie zu töten, aber jedesmal, wenn sie einen von ihnen erschoß, teilte sich die Leiche in zwei neue Fanatiker, und so vergrößerte sie ihre Zahl nur, indem sie sie tötete. Sie wurde immer verstörter, ihre Angst wuchs, und gleichzeitig wurde die Übermacht immer größer, bis sämtliche Höhlen in der ganzen Talmauer von Spiveys Leuten wie von einem Rudel Ratten oder Küchenschaben wimmelten. Und dann, wohlwissend, daß sie träumte, begann sie zu vermuten, daß Grace Spiveys Ge folgsleute nicht nur in den Höhlen des Traumes waren, sondern auch in den wirklichen Höhlen in der wirklichen Welt jenseits des Schlafes, und daß sie sowohl im Alptraum als auch in der Realität ein Menschenopfer brachten, und sie, wenn Christine jetzt nicht aufwachte, und sie daran hinderte, Joey wirklich zu töten, im Schlaf töten würden. Sie kämpfte darum, sich aus dem eisernen Griff des Schlafes zu befreien, schaffte es aber nicht, schaffte es nicht aufzuwa chen, und jetzt waren sie im Traum im Begriff, dem Jungen die Kehle durchzuschneiden. Und in der Wirklichkeit, jenseits des Traumes?
69
Als Christine am Morgen aufwachte, war Joey damit beschäftigt, einen Schokoladenriegel zu essen und Chewbacca zu streicheln.
Sie beobachtete ihn einen Augenblick und merkte dann, daß ihr die Tränen über die Wangen strömten. Nur daß sie diesmal weinte, weil sie glücklich war.
Er schien aus dem psychischen Exil zurückzukehren, in das er sich selbst verbannt hatte. Auch körperlich hatte sich sein Zustand gebessert. Vielleicht würde er durchkommen.
Die Schwellungen waren aus seinem Geicht verschwunden, und an ihre Stelle war eine bessere, wenn auch nicht gerade gesunde Farbe getreten; sogar das Atmen bereitete ihm keine Schwierigkeiten mehr. Seine Augen waren immer noch glasig, und er wirkte immer noch in sich zurückgezo gen, aber bei weitem nicht so apathisch und fern wie gestern.
Daß er an die Vorräte gegangen war, in ihnen herumgewühlt und die Schokolade gefunden hatte, war ermutigend. Offenbar hatte er auch Holz nachgelegt, denn das Feuer brannte hell, während es eigentlich in der Nacht hätte herunterbrennen müssen, so daß jetzt nur noch heiße Glut hätte da sein dürfen.
Sie kroch zu ihm und drückte ihn an sich, und er drückte sie auch, wenn auch nicht fest. Er sagte nichts, ließ sich durch nichts dazu bewegen, auch nur ein Wort von sich zu geben. Er sah ihr immer noch nicht in die Augen, als wäre ihm gar nicht bewußt, daß sie hier bei ihm war. Aber sie hatte das Gefühl, daß seine tiefblauen Augen sie suchten, wenn sie den Blick von ihm wandte, und dann nicht mehr so glasig und verträumt wirkten. Aber sicher war sie nicht. Sie konnte ihn nicht dabei ertappen. Doch sie wagte zu hoffen, daß er im Begriff war, zu ihr zurückzukehren, sich langsam vom Rande des Autismus zurücktastete, und wußte, daß sie ihn dabei nicht drängen durfte.
Chewbacca hatte sich noch nicht so weit erholt wie sein Herrchen, obwohl er nicht mehr ganz so schwach und ausgemergelt wirkte wie gestern nacht. Aber Christine hatte den Eindruck, daß er zusehends gesünder und vitaler wirkte, auf jedes Streicheln des Jungen reagierte, als ob Joeys kleine Hände heilende Kräfte besäßen.
Joey hielt seine Schokolade vor sich, drehte sie hin und her, schien sie anzustarren. Er lächelte vage.
Christine hatte sich noch nie etwas mehr gewünscht, als ihn jetzt lächeln zu sehen, und dabei schlich sich ein Lä cheln über ihr eigenes Gesicht.
Hinter ihr wachte Charlie plötzlich auf, und sie ging zu ihm. Sie sah sofort, daß sein Zustand sich nicht gebessert hatte. Das Delirium hatte ihn losgelassen, aber in jeder anderen Hinsicht hatte sich sein Befinden verschlechtert. Sein Gesicht wirkte teigig, von Schweiß durchtränkt. Seine Augen schienen in
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