Todesdämmerung
vielleicht? Da gibt es ja dauernd Schießereien, wie man im Fernsehen sieht, Dealer, die einander die ganze Zeit niederschießen — ist es so etwas, Christine?«
Sie bildete sich ein, sie könnte im Hintergrund monoton die Großvateruhr ticken hören. Plötzlich hatte sie Atemschwierigkeiten.
So ging das Gespräch weiter, bis Christine es nicht mehr ertragen konnte. Sie sagte, sie müsse gehen, und legte auf, ehe ihre Mutter Einwände machen konnte. Evelyn hatte nicht einmal gesagt: >Ich liebe dich< oder >Sei vorsichtig< oder >Ich mache mir Sorgen um dich< oder >Kann ich dir irgendwie helfen? <
Ihre Mutter könnte ebensogut tot sein; ihre Beziehung war das jedenfalls.
Um halb acht machte Christine für George, Vince, Joey und sich selbst Frühstück. Sie war gerade damit beschäftigt, Toast mit Butter zu bestreichen, als es wieder zu regnen anfing.
Der Morgen war so trostlos, die Wolken hingen so tief, und das Licht war so düster und grau, daß es ebensogut das Ende wie der Anfang des Tages hätte sein können. Der Re gen prasselte aus dem düsteren Himmel mit einer Wucht herunter, daß die Dachrinnen überflutet wurden. Draußen zogen immer noch Nebelschwaden vorbei, und ohne Sonne würden sie wahrscheinlich den ganzen Tag hängenbleiben, sich kaum auflösen und, bis es Abend war, noch dichter werden. Dies war die Jahreszeit, wo die Stürme unerbittlich über Kalifornien hereinbrechen konnten. Sie zogen vom Pazifik herein und schütteten ihren Regen über den Küstenre gionen aus, bis die Flüsse über ihre Ufer traten, die Reservoirs überliefen, ganze Berghänge abrutschten und Häuser mit tödlicher Schnelligkeit in Schluchten hinunterrissen. So wie es aussah, war dies einer jener Stürme.
Die Aussicht auf eine längere Schlechtwetterperiode machte die Drohung der Kirche des Zwielichts noch beängstigender, denn wenn die Winterregen so hereinbrachen, waren die Straßen überflutet, die Freeways unglaublich verstopft und die Beweglichkeit beeinträchtigt. Kalifornien schien dann einzuschrumpfen, die Berge rückten näher zur Küste und zerquetschten das Land dazwischen. Wenn die Regenzeit am schlimmsten war, dann nahm ganz Kalifornien klaustrophobische Züge an, von denen man nie in den Reiseprospekten las und die auch keine Postkarte zeigte. Bei solchem Wetter fühlte Christine sich immer ein wenig in der Falle, selbst wenn sie nicht von bewaffneten Irren bedrängt wurde.
Als sie Vince Fields einen Teller mit Spiegeleiern und Speck zu seinem Wachplatz an der Eingangstür brachte, sagte sie: »Sie und George müssen ziemlich müde sein. Wie lange halten Sie das denn durch?«
Er dankte ihr für das Frühstück, sah auf die Uhr und sagte: »Wir haben nur noch eine Stunde. Das Austauschteam sollte um halb neun hier sein.«
Natürlich. Ein Austauschteam. Eine neue Schicht. Das hätte sie eigentlich wissen müssen, aber sie hatte nicht darangedacht. Sie hatte sich an Vince und George gewöhnt und gelernt, ihnen zu vertrauen. Wenn einer der beiden ein Angehöriger der Kirche des Zwielichts gewesen wäre, dann wären sie und Joey jetzt schon tot. Sie wollte, daß sie blieben, aber natürlich konnten sie nicht ewig wachbleiben und wachsam sein. Unsinnig von ihr, nicht daran gedacht zu haben.
Jetzt mußte sie sich bezüglich der neuen Männer Sorgen machen. Einer von ihnen hatte möglicherweise seine Seele an Grace Spivey verkauft.
Sie ging in die Küche zurück. Joey und George Swarthout frühstückten an dem halbrunden Tisch aus Fichtenholz, an den nur drei Stühle paßten. Sie setzte sich vor ihren eigenen Teller, hatte aber plötzlich keinen Hunger mehr. Sie stocherte in ihrem Essen herum und sagte: »George, die nächste Schicht Leibwächter...«
»Müßte bald hier sein«, sagte er mit vollem Mund. »Wissen Sie, wen Charlie... wen Mr. Harrison schickt?«
»Sie meinen, ihre Namen?«
»Ja. Ihre Namen.«
»Keine Ahnung. Da kommen einige Leute in Frage. Warum?«
Sie wußte nicht, warum sie sich wohler fühlen würde, wenn sie ihre Namen kannte. Sie war nicht mit Charlies Mitarbeitern vertraut, und ihre Namen würden ihr nichts bedeuten. Sie würde aus den Namen nicht schließen können, ob sie Grace Spiveys Leute waren. Das war unvernünftig.
»Wenn Sie jemanden von unseren Leuten kennen und es vorziehen, daß die hier arbeiten, sollten Sie das Mr. Harrison sagen«, meinte George.
»Nein. Ich kenne niemanden. Ich habe nur... nun... schon gut. Es war nicht wichtig.«
Joey schien zu ahnen, worauf sich
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