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Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis
Autoren: Bernward Schneider
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Booten. »In einer dieser Nussschalen hingegen gelingt das leicht.«
    »Sie sind der Experte, Mr. Raubold«, sagte Gladys, »aber ich mach mir keine Sorgen. Und was dieses ominöse Buch angeht – ich bin jeglichem Aberglauben abhold.«
    »Natürlich haben Sie recht«, sagte Raubold. »Das ist alles Unsinn! Aber sagen Sie – meine Liebe – sollten wir nicht in einem der Rauchsalons ein Gläschen Wein zu uns nehmen? Darf ich Sie einladen?«
    »Gern, aber nur ein einziges Glas, ich habe mir vorgenommen, heute früh schlafen zu gehen. Mein Nachholbedürfnis an Schlaf ist ziemlich groß.«
    Im Café Parisien, das im Stil der französischen Straßencafés gestaltet war, herrschte großer Andrang. Gladys und Raubold fanden einen kleinen Tisch in der Nähe der Tür. Trotz des Trubels wurden sie unverzüglich bedient, und sie bestellten Rotwein.
    »Es gibt keinen Gatten, der Sie begleitet?«, fragte Raubold.
    Gladys schüttelte den Kopf.
    »Mein Mann musste mit einer Blinddarmentzündung ins Krankenhaus«, sagte sie, »ich konnte die Reise jedoch nicht aufschieben. Ich besuche eine Freundin, die in der nächsten Woche in New York heiratet.«
    Raubold nickte. »Ich bin auch allein«, sagte er, »aber nicht nur hier auf dem Schiff.« Ein Leuchten erhellte seine Züge, als wäre ihm eine gute Idee gekommen. »Wir sollten einander Gesellschaft leisten.«
    »Das tun wir doch schon«, sagte Gladys.
    »Ich wollte sagen«, sagte Raubold, »an Bord der großen Schiffe ist es üblich, dass allein reisende weibliche Passagiere sich einen allein reisenden Herrn als Beschützer wählen.«
    »Wovor wollen Sie mich beschützen?«
    »Nun, eine schöne Dame wie Sie –«
    »Ich weiß mich ungebetener Verehrer gut zu erwehren, falls Sie das meinen«, lächelte sie, »darin bin ich geübt.«
    Vor Verehrern musste sie keine Angst haben, dachte sie dann; nein, gewiss nicht, wohl aber vor den Freunden und Helfern von Frank Jago. Bei dem Gedanken an Phils Mörder verflog ihre gute Laune, und ihr Blick umschattete sich.
    Raubold bemerkte es. »Oh meine Liebe, habe ich etwas Falsches gesagt?«
    »Nein, Mr. Raubold«, erwiderte Gladys leise. »Wenn Sie ein Auge auf mich haben wollen, soll mir das recht sein. Ich halte Sie für einen Ehrenmann, der keine unlauteren Absichten verfolgt.«
    Als sie den Blick durch das Café schweifen ließ, erblickte sie an einem der Nebentische ein Trio, bestehend aus zwei Frauen und einem Herrn, das ihre Aufmerksamkeit in besonderer Weise fesselte. Der Herr war ein groß gewachsener blonder Mann, deutlich über 50, der aussah wie ein Mann von Format, aber mit merkwürdig kalten blauen Augen, deren Unbeweglichkeit ihm eine unheimliche Aura verlieh. Die Frau an seiner Seite, deren Hand er hielt, war anscheinend seine Gattin. Sie war deutlich jünger als er, eine schöne, zart wirkende Person, sicher nicht über 40, der es trotz ihres guten Aussehens an Selbstbewusstsein zu mangeln schien. Auf irgendeine, schwer durchschaubare Weise schien sie von der anderen Frau dominiert zu werden, als stünde sie unter deren medialem Einfluss. Die andere Frau wirkte mit ihrer gedrungenen Gestalt und dem ungewöhnlich großen Kopf mit dem nach hinten abgeflachten Schädel eher wie eine Hexe. Ihr hartes Gesicht mit dem gelblichen Teint war von dichtem, kurzem Haar undefinierbarer, schmutziggrauer Farbe gerahmt. Es gab schon eigenartige Konstellationen in den Beziehungen der Menschen zueinander, überlegte Gladys und musste lächeln, als sie den herrischen Ton vernahm, mit der die hässliche Frau der hübschen ein paar Sätze zuwarf.
    »Sie sind wirklich etwas ganz Besonderes, Mrs. Appleton«, sagte Raubold und hob seufzend sein Glas. »Ihr Gatte ist zu beneiden. Trinken wir auf Sie, schöne Mrs. Appleton – und auch auf den beneidenswerten Mann an Ihrer Seite.«
    Gladys lächelte zart.
    »Ja, stoßen wir darauf an, dass ich bald wieder einen liebenden Mann an meiner Seite haben werde, und darauf, dass wir trockenen Fußes nach Amerika gelangen.«

3. Kapitel
Donnerstag, 11. April 1912
     
    Gladys begann den Tag mit einem morgendlichen Sprung ins Schwimmbecken. Sie hatte gut geschlafen und fühlte sich pudelwohl. An dem großen Tisch, an dem sie beim Frühstück saß, sprach man über den Kapitän.
    »Gerüchten zufolge soll die Jungfernfahrt der Titanic die letzte Reise von Kapitän Smith vor seiner Pensionierung werden«, erzählte Mr. Widener, ein sympathischer Herr in den Fünfzigern, der ihr als Besitzer von Straßenbahnen in
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