Todeseis
Philadelphia vorgestellt worden war.
»Ich hörte, die Pensionierung sei erst für die Jungfernfahrt der Gigantic geplant, das nach der Olympic und der Titanic das dritte Schiff der Baureihe werden soll«, widersprach ihm seine Frau.
»Das Auslaufen in Southampton war nicht gerade ein Ruhmesblatt seiner Laufbahn«, sagte Mr. Hays, der nicht minder kompetent wirkte und der als Präsident der kanadischen Eisenbahngesellschaft vorstand. »Die Titanic hat den kleinen Dampfer New York mit dem Bugspriet gestreift. Fast hätte der Sog des Schiffes den Dampfer aus der Verankerung gerissen. Es war reines Glück, dass die Schiffe nicht aufeinander geknallt sind.«
Mrs. Widener sagte leise: »Ein böses Omen, wie viele Passagiere munkeln. Wenn die Stewards über den Vorfall reden, machen sie ganz besorgte Gesichter. Es herrscht eine komische Stimmung auf dem Schiff.«
»Das mit dem Omen ist Unsinn«, sagte ihr Ehemann und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Aber es hätte natürlich nicht passieren dürfen. Der Kapitän lässt es an Umsicht vermissen. Ich denke, er ist zu alt für den Job. Hoffen wir, dass es seine letzte Reise über den Atlantik ist. Nach 38 Dienstjahren hat er sich wahrlich den Ruhestand verdient.«
»Im vergangenen Jahr soll ihm mit der Olympic ein ähnliches Missgeschick passiert sein«, sagte Mrs. Widener. »Auch da hätte es um ein Haar einen Zusammenstoß gegeben.«
»Nicht nur um ein Haar! Es hat tatsächlich gewaltig geknallt«, korrigierte Mr. Widener seine Gattin. »Es passierte ebenfalls im Hafen von Southampton. Das andere Schiff war die Hawke, ein britischer Kreuzer, und die Hawke war nicht schuld an der Havarie.«
»Warum lässt man Kapitän Smith das Kommando, wenn er damit überfordert ist?«, fragte Gladys.
»Er ist immerhin der Kommodore der White Star«, sagte Mrs. Widener. »Wer traut sich schon, ihm zu sagen, dass er seinen Platz für einen Jüngeren räumen soll.«
»Na ja«, sagte Mr. Hays. »Bruce Ismay von der White Star ist an und für sich nicht zimperlich. Ich habe vielmehr den Eindruck, dass man bei der Reederei zu sorglos, um nicht zu sagen überheblich ist in Bezug auf die Gefahren. Sie tun so, als könnte einem so großen Schiff wie der Titanic keine Gefahr drohen.«
»Aber Sie zweifeln doch nicht etwa an der Titanic, Mr. Hays?«, fragte Mrs. Widener den Eisenbahnkönig.
»Nun ja, der Luxus hier an Bord scheint mir auf Kosten der Sicherheit zu gehen«, sagte Mr. Hays nachdenklich. »Anstatt dieses albernen Schwimmbads – um nur ein Beispiel zu nennen – hätte man mehr Platz für Rettungsboote schaffen sollen. Wenn ich Präsident dieser Schifffahrtslinie wäre, würde man nicht Geschwindigkeit über Sicherheit stellen. Die White Star, die Cunard Line und die Hamburg-Amerika-Linie wetteifern mit aller Macht um die Vorrangstellung auf dem Nordatlantik, indem sie ihre Schiffe mit dem größten Luxus ausstatten, aber eines Tages wird dies zur größten und erschütterndsten aller Schiffskatastrophen führen.«
Am Tisch gab es zustimmendes Nicken, und bald darauf trennte man sich.
Wie viele andere Passagiere verbrachte auch Gladys den Vormittag damit, die Korridore und Decks zu erkunden.
Der Bereich der ersten Klasse, deren Ausstattung sich an noblen englischen Landsitzen und italienischen Palazzi orientierte, beherrschte wie ein Block, der sich über vier Decks erstreckte, die ganze Schiffsmitte. Am eindrucksvollsten war die gigantische Treppenhalle, die sechs Etagen vom Bootsdeck bis zum E-Deck miteinander verband. Von einer Glaskuppel überragt und mit Eichenholz getäfelt, gehörte das Treppenhaus zu den wundervollsten Räumen auf der Titanic. Ein zweites ähnliches Treppenhaus verband zwischen den hinteren beiden Schornsteinen das A-Deck mit dem C-Deck. Neben den Treppen waren drei Fahrstühle für die erste Klasse vorhanden, die parallel zum vorderen Treppenhaus verliefen. Auf dem A-Deck lag die Mehrzahl der öffentlichen Räume, darunter ein Lese- und Schreibsalon, ein geräumiger Gesellschaftsraum, ein besonders kostbar ausgestatteter Rauchsalon und zwei identisch ausgestattete Verandacafés.
Die Titanic ist ein richtiger Palast, dachte Gladys; ein Palast, der schwimmen konnte, und die unzähligen Decks und Salons, die sie bei ihrem Gang durch das Schiff mit ihren Blicken streifte, vermittelten ihr das täuschende Gefühl, sich nicht auf See, sondern in einem luxuriösen Hotel an Land zu befinden.
Um die Mittagszeit kam Queenstown in den Blick, die
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