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Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis
Autoren: Bernward Schneider
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letzte Zwischenstation vor der Fahrt über den Atlantik. Beim Feuerschiff verlangsamte die Titanic die Fahrt und nahm den Lotsen an Bord, bevor sie Kurs auf die Hafenmündung nahm. Es war etwas Würdevolles in den Bewegungen des Schiffes, wie es so in der leichten Dünung des Hafens rollte, ein langsames, stetiges Eintauchen und Wiederaufrichten, das man erst bei genauem Hinsehen bemerkte.
    Auch Gladys war an Deck, um der Titanic bei der Einfahrt in den Hafen zuzusehen. Sie sah den Kapitän zusammen mit seinen Offizieren. Ein paar andere Passagiere, die in ihrer Nähe standen, unterhielten sich über die wichtigsten Männer an Bord, in deren Händen das Schicksal der Titanic lag. Leitender Offizier war Mr. Wilde, der erste Offizier ein Mr. Murdoch, der zweite Offizier hieß Lightoller, und dann gab es noch den dritten, den vierten, den fünften und den sechsten Offizier, Pitman, Boxhall, Lowe und Moody mit Namen. Auf der Kommandobrücke, so hieß es, wechselten sich die drei ranghöchsten Offiziere damit ab, Wache zu gehen.
    Die mächtigen Schrauben wühlten den Grund auf und färbten die See braun, als die Titanic unweit der Küste an einem sicheren Ankerplatz stoppte. Zwei Zubringerschiffe, die neben der Königin der Meere wie Nussschalen wirkten, brachten letzte Passagiere, Post und Pakete an Bord.
    Der eigentliche Grund, weshalb Gladys sich an Deck eingefunden hatte, waren die Neuankömmlinge. Am Vortag in Cherbourg hatte sie es versäumt, die an Bord kommenden Passagiere näher in Augenschein zu nehmen, und diesen Fehler wollte sie in Queenstown kein zweites Mal begehen.
    Zwar hatte sie Frank Jago kaltgestellt, sodass er ihre Flucht nicht hatte verhindern können, aber ob er tot war oder noch lebte, wusste sie nicht. Es spielte auch keine Rolle. Denn vor der Rache ihrer Gegner war sie in dem einen wie in dem anderen Fall nicht sicher.
    Falls jemand hinter ihr her war, musste er nicht in Southampton an Bord gegangen sein. Mit Hilfe der Telegrafie war es heute möglich, jemanden in Cherbourg oder Queenstown zu erreichen und auf ihre Spur zu bringen, bevor die Titanic zur Überquerung des Ozeans ansetzte. Bei günstigen Verhältnissen, hatte sie Phil erzählen gehört, reichten die Funksignale über zweitausend Meilen.
    Nur eine Handvoll Fahrgäste, die das Schiff verließen, stieg in die Tender. Weit mehr als hundert neue Passagiere kamen dafür an Bord. Es waren vor allem irische Auswanderer, Menschen, denen es nicht leichtfiel, ihre Heimat zu verlassen. Auch einige Journalisten und Fotografen waren mit den Tendern herübergekommen, um sich in aller Kürze einen Eindruck von dem berühmten Schiff zu verschaffen.
    Gladys gab viel auf ihre Intuition, aber sie entdeckte niemanden, den sie kannte oder der spontan ihren Argwohn erregt hätte; natürlich war das keine Garantie, dass nicht doch ein Ganove unter den Zugestiegenen war.
    Sie sah einen Händler, der Zeitungen verkaufte, darunter erblickte sie ein Exemplar der Daily Mail vom heutigen Tag. Sie erwarb es, setzte sich in einen Stuhl an der Reling und blätterte es aufmerksam durch. Obwohl es unwahrscheinlich war, dass in der Zeitung über die schrecklichen Geschehnisse in London berichtet würde, hatte die Tatsache, dass sie nichts darüber in der Zeitung geschrieben fand, eine beruhigende Wirkung auf sie. Die Zubringerboote warfen los, und mit einem neuerlichen Aufwühlen des Grundes durch die Schrauben drehte die Titanic langsam einen Viertelkreis, bis ihr Bug entlang der irischen Küste zeigte. Dreimal ertönten die Schiffssirenen zum Abschied, dann legten die Tender mit den Reportern und den Passagieren, die in Queenstown ausstiegen, von der Titanic ab, und diese stach vor der irischen Küste in See.
    Ein Passagier der dritten Klasse hatte einen irischen Dudelsack mit an Bord genommen. Er stand achtern auf der Promenade der dritten Klasse und spielte ›Erin’s Lament‹, während Irlands Tor nach Amerika hinter dem nach Westen fahrenden Schiff zurückblieb. Beim Anblick dieses Kelten im Kilt, der eine so schwermütige Weise zum endgültigen Abschied von der Heimat spielte, kämpfte Gladys mit den Tränen. Ein einziges Mal noch stoppten die Maschinen, und Gladys betrachtete nachdenklich den Lotsen von Queenstown, der zu einem Zubringerboot hinunterstieg und der letzte Mensch war, der das mächtige Schiff auf dieser Seite des Atlantiks verließ.
    Ein beschwingtes Gefühl erfasste sie, als sie sah, wie die Titanic auf die Nachmittagssonne zuhielt, die
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